Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
Menschenzucht, das er in Ashkor erworben hatte. Zunächst hatte er sich daran gewöhnen müssen, ein Tier aus dieser relativ unverständigen Zucht mental zu lenken. Aber er gewöhnte sich schnell daran. Dabei waren Elbenpferde keineswegs deshalb leichter geistig zu führen, weil sie gefügiger gewesen wären oder einen schwächeren Geist gehabt hätten als die Pferde der Menschen.
Genau das Gegenteil war der Fall: Der Geist der Menschenpferde war so schwach, dass er nur sehr wenige und sehr konkrete Gedankenbefehle zu verstehen vermochte, was vom Reiter ein wesentlich höheres Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration erforderte.
Gegen Abend erreichte Andir die Stadt Nor an der Küste des Zwischenländischen Meeres. Diese Stadt hatte dem ganzen Landstrich ihren Namen gegeben. Als Hafen hatte sie nicht die gleiche Bedeutung wie Ashkor oder Aratania, kam in der Rangfolge aber ziemlich dicht dahinter, und seit sie unter Magolas’ Herrschaft stand, blühte sie auf wie niemals zuvor in ihrer Geschichte.
Andir stieg von seinem Pferd. Mit einem gedanklichen Befehl band er es so an sich, dass es ihm bedingungslos folgte.
Der Elbenmagier hatte es nicht eilig, ans Ziel zu gelangen.
Dieses Ziel lag natürlich in Aratania. Die Kinder des Großkönigs durften einfach nicht länger dem Einfluss der Finsternis ausgesetzt sein.
Er schritt durch die engen Gassen der Stadt, um eine Herberge zu finden, als er plötzlich unmerklich stutzte. Er hatte einen Gedanken aufgeschnappt, der verräterisch war.
Dann wiederholte sich der Gedanke, war diesmal schärfer und auf ihn konzentriert. Eine Botschaft, die für ihn bestimmt war:
»Willst du mich allen Ernstes töten, Bruder?«
Andir spürte, dass er beobachtet wurde. Der Illusionszauber, mit dem er sich vor den Augen der Rhagar schützte, wirkte auch unter den Menschen von Nor. Jeder sah in ihm etwas anderes, aber allen gemeinsam war, dass Andir ihnen nicht weiter auffiel.
Aber das galt nicht für jene, die ihn beobachteten, ihn belauerten und offenbar mithilfe eines Gegenzaubers von seiner Illusion unberührt blieben.
Er richtete seine Gedankenstimme an Magolas:
»Sollte es wirklich wahr sein, dass du Meuchelmörder auf mich angesetzt hast, Bruder? Wenn du meinen Tod willst, solltest du wenigstens den Mut haben, dich mir selbst zu stellen. Aber wahrscheinlich bist du in all der Zeit, da du schon als Großkönig über die schwachen Rhagar herrschst und andere für dich handeln lässt, selbst schwach und verweichlicht geworden. Du hast Angst, dich noch einmal mit mir zu messen, so wie wir es als Kinder oft taten. Du hast Angst, mir zu unterliegen, egal ob im Kampf mit dem Schwert oder im Kampf des Geistes. Ja, du fürchtest mich, Bruder!«
Andir erhielt keine Antwort. Wieder und wieder versuchte er, mit seinem Bruder in Verbindung zu treten, aber der Herrscher des Magolasischen Reichs wich ihm geistig aus.
Nichtsdestotrotz war Andir davon überzeugt, dass Magolas immer genau wusste, wo er sich befand – und dass er dieses Wissen in die Gedanken jener Mörder übertrug, die mit der Aufgabe betraut worden waren, Andir zu töten.
Vor einer Taverne im Hafenviertel machte Andir sein Pferd an der Querstange vor dem Gebäude fest, dann ließ er den Blick über den Hafen schweifen. Schiffe wurden entladen, Fischer flickten ihre Netze, überladene Wagen brachten Waren von den Liegeplätzen ins Innere der Stadt, wo sich die Marktplätze von Nor befanden. Andir sah unzählige Rhagar, aber auch hin und wieder Halbling-Händler aus Osterde und Gnomen aus Hocherde, die mit glitzernden Mineralien handelten; es waren Gnomen mit fünf Fingern an jeder Hand und nicht mit sechs, wie es bei den Knechten des Axtherrschers der Fall gewesen war.
Andir spürte, dass er noch immer beobachtet wurde. Der Großteil der Menge nahm so gut wie keine Notiz von ihm, denn sie sahen in ihm jemand Unauffälligen. Aber irgendwo, zwischen all den Augenpaaren, waren Gestalten, die weitgehend abgeschirmt waren von seiner Magie. Menschen, die man ausgesandt hatte, ihn zu töten.
Für einen kurzen Moment glaubte Andir einen Gedanken eines der Mörder aufgeschnappt zu haben. Ein Jäger, der sich in der Masse verbarg und auf den richtigen Moment wartete, um seine Beute zu erlegen.
Ihr stierer Blick würde sie verraten, war Andir überzeugt, denn für alle war er so gut wie unsichtbar, abgesehen von seinen Mördern. Der Elbenmagier betrat die Taverne.
Stimmengewirr schlug ihm entgegen, zänkisch, grölend, lallend.
Weitere Kostenlose Bücher