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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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ein.
    Nachstehend folgt ein Verzeichnis über alles, was von der deutschen Kriminalpolizei im Filmtheater gefunden worden war, neben einer 2955 Reichsmark entsprechenden Summe in amerikanischen Dollar, versteckt in alten Schuhkartons, und ein paar Wandgemälden des Künstlers Hirsch Szylis von »bekannten Schauspielern und nackten Weibsbildern«, die der deutsche Schatzmeister als »ohne Wert« einstufte:
     
    70 kg (gesalzener) Speck
    60 kg Schinken (gesalzen, getrocknet, gepökelt)
    12 Tonnen Sauerkraut
    120 kg Roggen- und Weizenmehl (in Säcken)
    150 kg Zucker
    24 Schachteln mit Süßigkeiten und Geleekonfekt
    32 Flaschen Kognak + Wodka
    40 Stck. gepökelte Ochsenzungen
    1 Kiste Orangen
    242 Stck. »parfümierter« Seife
    262 Stck. Schuhwachs (in nicht angebrochener Verpackung)
     
    |196| Adam Rzepin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Arbeit an der Entladerampe am Bahnhof Radogoszcz aufgenommen, die ihm sein Onkel Lajb beschafft hatte; und an jenem eisigen grauen Morgen hatte er soeben seine Schicht beendet, als die Gestapo mit dem Mann angefahren kam, der bisher Rumkowskis rechte Hand war, dem Gefängnisdirektor und Polizeichef, der seine Schwester eingesperrt und vergewaltigt hatte.
    Es war der 17. März 1942; ein ganz gewöhnlicher Tag im »neuen Leben« des Gettos.
    Der Transport des Tages stand schon zum Verladen bereit. Die letzten Kolonnen der aus dem Sammellager in der Marysińska Abmarschierten waren bereits eingetroffen, und die Menschen stampften in dem halbgefrorenen Matsch auf der Stelle. Hier und da brachen Unruhen aus, als Gruppen deutscher Posten auf die Neuankömmlinge losgingen, damit sie sich ihres Gepäcks entledigten. Rucksäcke und verschnürte Bündel aus Matratzen und Bettzeug türmten sich bereits auf der einen Seite des flachen Bahnhofsgebäudes.
    Kurz bevor der Zug abfahren sollte, traf ein geschlossener schwarzer Wagen an der Rampe des Güterbahnhofs ein, und herausgeführt wurde ein leichenblasser Shlomo Hercberg, mit Handschellen an einen Kripo-Beamten in Zivil gefesselt. Man gestattete ihm nicht einmal, sich einzureihen oder auch nur umzuschauen, sondern er wurde umgehend in den nächsten freien Wagen getrieben.
    Am Morgen darauf wiederholte sich dieselbe Prozedur mit Hercbergs Frau, seiner Schwiegermutter und den drei Kindern der Familie. Die Kinder sahen, anwesenden Zeugen zufolge, ebenso »furchtsam aus wie alle anderen«. Vielleicht hätte das ein Trost sein sollen für jene, die Hercbergs Gier getroffen hatte. Im Getto aber empfand fast jeder es genau umgekehrt. Erst als Shlomo Hercberg und seine Familie deportiert wurden, begriffen die normalen Gettobewohner, dass es den Behörden mit ihrem Urteil über die Juden von Litzmannstadt bitterernst war.
    Wenn es nicht einmal für die Obersten im Getto Gnade oder Rettung gab, was galt dann für sie, wenn die Reihe erst an ihnen war?

 
    |197| Am Sonntag, dem 12. April, wurde der Judenälteste ein weiteres Mal zu den Behörden gerufen. Anwesend waren, außer Biebow, dessen zwei Stellvertreter Czarnulla und Ribbe, während die Gestapo durch SS-Sturmscharführer Albert Richter vertreten war, den zweithöchsten Leiter des sogenannten Referats II B 4, zuständig für Judenangelegenheiten im Getto.
    Die Unterredung erfolgte auch diesmal in »disziplinierter und im Hinblick auf die Umstände relativ entspannter Atmosphäre«.
    Albert Richter eröffnete das Gespräch mit der Erklärung, der Kriegseinsatz mache es notwendig, die jüdische Bevölkerung des Warthegaus an einigen wenigen Orten mit »strategischer« Bedeutung zu konzentrieren. Insofern würden in Kürze auch Judentransporte aus dem übrigen Warthegau
nach
Litzmannstadt aktuell. Trotz dieser Aktionen – oder vielleicht richtiger
aufgrund
derselben – ergab sich die Notwendigkeit, dass die Aussiedlung aus dem Getto in größter Eile und ohne Unterbrechung weiterlief. Von Berlin war die »unumgängliche Forderung« ergangen, dass allein Juden, die für einen Arbeitseinsatz in Frage kämen, im Getto verbleiben dürften. Somit müssten auch sämtliche nicht arbeitsfähigen Elemente unter den neueingesiedelten Westjuden nunmehr das Getto verlassen.
    Da hatte Rumkowski ums Wort gebeten und die versammelten Behördenvertreter gefragt, auf welche Weise festgelegt werden solle, ob jemand arbeitsfähig sei oder nicht.
    Richter hatte geantwortet, eine medizinische Kommission deutscher Ärzte würde sämtliche noch verbliebenen Gettobewohner, älter als zehn Jahre, untersuchen

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