Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
nickte mit einem wissenden Lächeln, faltete ihre Hände und berührte damit ihre Lippen.
Sie liebt den verwegenen Kapitän , dachte Kate voller Mitleid. Der weiche, verschleierte Ausdruck ihrer Augen machte das nur allzu deutlich. Dann fiel ihr noch etwas anderes ein. Als sie die Frau im Fleet-Gefängnis gesehen hatte, war sie offensichtlich schwanger gewesen. Kate fragte sich, ob der Kapitän der Vater des Kindes war und was mit dem Baby geschehen war.
»Ich heiße Kate, und Euer Name ist … Endor?«
Wieder lächelte die Frau und nickte. Sie zeigte zuerst zu dem Bullauge, durch das das Sonnenlicht strömte, dann auf Kate und schließlich auf eine Leiter, die Kate wegen des Durcheinanders, das sich davor stapelte, bis jetzt nicht aufgefallen war. Sie hatte angenommen, dass der einzige Weg zum Hauptdeck die Tür war, durch die Endor letzte Nacht verschwunden war. »Die Leiter hier führt direkt hinauf auf das Oberdeck? Ist mein Mann dort?«
Ein schnelles Nicken bestätigte beide Fragen. Endor breitete die Arme aus und machte eine ausladende Geste über dem Tisch, bewegte ihre Hände kreisförmig vor dem Bauch und tat schließlich so, als würde sie dreimal an einem Klingelzug ziehen. Kate verstand, was sie ihr damit sagen wollte.
»Um drei gibt es Essen. Wir halten uns bereit.« Sie wollte nach dem Baby fragen. »Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, wart Ihr schwanger; darf ich fragen …« Aber die Frau hatte bereits den Nachttopf genommen und war durch die Tür verschwunden. Entweder hatte sie Kates Frage tatsächlich nicht mitbekommen, oder sie hatte die Frage vorhergesehen und so getan, als hätte sie sie nicht gehört.
Kate nahm ein sauberes Leinenhemd aus ihrer Aussteuertruhe, die zum größten Teil mit abgelegten Gewändern aus Lady Walshs Haushalt gefüllt war. Vom Schnitt und vom Material her waren sie weit besser als alles, was Kate in ihrem kleinen Zimmer über dem Buchgeschäft in London zurückgelassen hatte. Der Duft von getrocknetem Lavendel vermischte sich mit der salzigen Luft der See, zu dem sich bald der Geruch der weißen Seife gesellte. Sie zog das saubere Gewand über ihren Kopf, dann schüttelte sie ihren zweitbesten Rock aus und stieg hinein. Sie fuhr sich mit dem Kamm durch die zerzausten Locken, dann gab sie es auf, ihr Haar zu bändigen, und ließ es unter einer schlichten Leinenhaube hervorwallen.
Die Sonne lockte. Sie fühlte sich erfrischt und tatkräftig – alle Anzeichen der Übelkeit waren verschwunden. Gott segne Endor und ihren Zaubertrank – vielleicht war sie jetzt ja tatsächlich seefest geworden. Sie schob sich noch eines der süßen Brötchen in den Mund und steckte eines für John in ihre Tasche. Als sie in ihrem voluminösen Rock unbeholfen die Leiter hinaufstieg, wünschte sie sich vorübergehend die Hose zurück, die sie, als ihr Bruder verkleidet, getragen hatte.
Der junge Höfling war zutiefst erschrocken, als man ihn aufforderte, den König in York Place zu bedienen. An den Hof gerufen zu werden, war stets beunruhigend, umso mehr, wenn sich der Hof gerade in York Place aufhielt. Der Palast in London gehörte eigentlich Kardinal Wolsey, dem Erzbischof von York, wurde aber oft vom König genutzt. Dorthin gerufen zu werden, kam beinahe einer Einladung in die Star Chamber in Westminster gleich. Als Stephen Vaughan am Pförtnerhaus dem Stallburschen sein Pferd übergab, überlegte er noch einmal rasch, ob er in letzter Zeit irgendeine einflussreiche Persönlichkeit beleidigt oder gekränkt hatte. Ihm fiel jedoch niemand ein.
Er kämpfte gegen Schatten. Wie er wusste, war der König durchaus imstande, einen Mann aus einer bloßen Laune heraus meilenweit zu sich kommen zu lassen, nur um eine Partie Schach mit ihm zu spielen oder ihm sein neuestes Lied vorzutragen. Vielleicht wollte der König Stephen aber auch damit beauftragen, das Maskenfest für den Hof zu organisieren oder ein Turnier vorzubereiten. Es war schon eine Weile her, dass Seine Majestät ihn das letzte Mal hatte rufen lassen. Vaughan hatte gehofft, dass sich der König inzwischen einen anderen Handlanger gesucht hatte. Er hasste es nämlich, sich mit so vielen Heuchlern und Speichelleckern abgeben zu müssen, ganz zu schweigen von der ständigen Angst, man könnte ihn für irgendeine tatsächliche oder erfundene Missetat verantwortlich machen, oder er könnte – Gott bewahre – einen Auftrag des König nicht zu dessen völliger Zufriedenheit erfüllen.
»Seine Majestät hat mich rufen
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