Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
woraufhin eine kleine aromatische Dampfwolke entwich.
»Aufregend, ja. Aber manchmal auch ein wenig unangenehm. So wie heute zum Beispiel. Man erteilt mir einen Auftrag, ohne dass ich auch nur eine Minute Zeit zur Vorbereitung gehabt hätte.«
»Dann muss es eine sehr dringende Angelegenheit sein.«
»Alle Angelegenheiten des Königs sind dringend.«
»Sehr geheim, nehme ich an?«, schaltete sich John jetzt in das Gespräch ein.
»Nicht unbedingt«, antwortete Vaughan zwischen zwei Bissen. »Ich soll gewisse Nachforschungen anstellen, und damit kann ich genauso gut auch sofort beginnen. Deshalb bin ich im Geiste auch über Euren Namen gestolpert.«
Er hielt inne, um einen Schluck zu trinken. John und Kate wechselten einen kurzen Blick und sahen schnell wieder weg, damit er nichts merkte.
»Der Mann, genau genommen die Männer, die ich suche, sind sehr gebildet. Sie haben etwas mit dem Buchhandel zu tun. Der eine heißt William Tyndale, der andere ist ein junger Gelehrter namens … Firth … nein, das war es nicht … Frith. Ja, Frith, das ist sein Name.«
Kate hatte das Gefühl, als drücke ihr jemand die Kehle zu. Sie vermied es, John anzusehen. Auch den Kapitän sah sie nicht an, sondern starrte unverwandt auf ihren Schoß.
»Ich hatte gehofft, dass Ihr sie vielleicht kennt. Da die beiden Gelehrte sind und Antwerpen das Zentrum des Buchdrucks ist, geht man davon aus, dass sie sich in Flandern aufhalten. Zumindest hat man mir das gesagt. Ich selbst lese nicht viel – ich mag den Geruch der Tinte nicht.«
Der Tisch begann vor Kate zu schwanken, der Rübenbrei verwandelte sich in ihrem Mund plötzlich in Watte, das Aroma der Fleischpastete weckte Übelkeit.
Der Fremde schien nichts zu bemerken, als er sich eine weitere Portion nahm und rief: »Das hier ist wirklich köstlich, Kapitän. Ich musste so schnell aufbrechen, dass ich nicht einmal die Gelegenheit hatte, noch etwas zu essen. Der König kann ein überaus anspruchsvoller Dienstherr sein.« Und dann, noch bevor er sich den nächsten Bissen in den Mund schob: »Falls Ihr einem von beiden begegnet, diesem William Tyndale oder diesem John Frith, könnt Ihr im Zunfthaus der Handschuhmacher eine Nachricht für mich hinterlassen.«
»Dann arbeitet Ihr also, wenn Ihr nicht gerade für den König unterwegs seid, als Handschuhmacher?«, fragte Kapitän Lasser.
Kate bewunderte seine Lässigkeit. Natürlich stand für ihn auch viel weniger auf dem Spiel als für sie. Er verlor allenfalls die Gunst seines Gönners. John aber würde seine Freiheit verlieren, vielleicht sogar sein Leben, wenn er nicht widerrief. Allein schon das Wort nahm ihr schier die Luft. Sie erinnerte sich an das Dilemma ihres Bruders, das sie plötzlich viel besser verstand.
»Wir haben ein kleines Familienunternehmen«, hörte sie den Fremden sagen, dessen Stimme sich wie auf einer Welle von ihr wegbewegte. »Mein Vater war Handschuhmacher. Mein älterer Bruder führt das Geschäft, aber auch ich habe einen Gesellenbrief.«
»Warum lässt der König diese Männer suchen? Haben sie gegen das Gesetz verstoßen?«, fragte John.
Kate hoffte, dass Vaughan nicht auffiel, wie atemlos er war. Seine Stimme klang genauso leise und weit entfernt wie die des Fremden. Den Bissen, den sie gerade gegessen hatte, drohte wieder hochzukommen.
Der Kapitän bedeutete Endor mit einem Wink, Vaughans leeren Becher wieder zu füllen, dann fügte er beiläufig hinzu:
»Die Goughs sind im Wollgeschäft. Sie bewegen sich wohl kaum in diesen Kreisen.«
Kate erhob sich mit wackeligen Beinen. Mit einem Schlag hatte sie ihre Seefestigkeit wieder verloren.
18
Es ist nach wie vor mein ernsthafter Wunsch, der Religion Christi ihre ursprüngliche Reinheit zurückzugeben. Ich werde also alles daran setzen, die Ketzerei auszumerzen und dem Wort Gottes den Weg zu ebnen.
Heinrich VIII. als junger Mann in einem Brief an Erasmus.
A ls sich die Sirens’s Song der Meeresbucht näherte, ging es Kate wieder so gut, dass sie sich am Sonnenuntergang erfreuen konnte. Es würde das letzte Abendrot sein, das sie von Bord eines Schiffes aus betrachten konnte. Überraschenderweise stimmte sie das traurig. Der Widerschein der Abendsonne lag rot, violett und orange auf den Segeln Dutzender Schiffe und färbte auch das Wasser, sodass es in unzähligen Farben schimmerte. Der Anblick raubte ihr schier den Atem.
»Die Schiffe sehen aus wie riesige Schmetterlinge, die über dem Meer schweben«, sagte sie zu John.
Ȇber dem
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