Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Fluss«, korrigierte John sie. »Antwerpen liegt an einem Fluss namens Schelde, ebenso wie London an der Themse liegt, nicht an der Nordsee.«
»An der Schelde«, wiederholte sie und versuchte das seltsame Wort richtig auszusprechen.
Master Vaughan trat zu ihnen auf das Quarterdeck.
»Der schönste – und geschäftigste – Hafen in ganz Europa«, sagte er. »Ihr seid sicherlich froh, wieder nach Hause zu kommen, Mistress Gough. Euer reizendes Gesicht hat wieder Farbe bekommen. Es freut mich, dass es Euch besser geht.«
»Deutlich besser, vielen Dank«, sagte Kate.
Und das war nicht einmal gelogen, denn der Spion des Königs nahm ihnen ihre Geschichte offensichtlich ab. Es sah so aus, als hätten sie es tatsächlich geschafft, und das, so war ihr durchaus bewusst, hatten sie zu einem guten Teil Kapitän Lasser zu verdanken. Sie sah ihm zu, wie er das Schiff geschickt in die Fahrrinne des Flusses steuerte und dann flussaufwärts auf den Hafen zuhielt. Ein leises Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er das Wasser nach den Markierungsbojen absuchte. Dieser Mann hat wirklich seine Berufung gefunden, dachte sie, während sie auf jedes Detail achtete: die Art, wie sich seine weiten blau-weißen Ärmel in der Brise blähten und sich von seinem ockerfarbenen Wams aus Wildleder abhoben; seine Haltung, die ihn als Kapitän auszeichnete, die Arme verschränkt, die Beine leicht gespreizt. Sie versuchte sich vorzustellen, wie er in einem Priestergewand aussah, das schwarze Haar kurzgeschnitten und mit einer Tonsur versehen anstatt mit einem Band zurückgebunden. Fast hätte sie bei diesem Gedanken laut aufgelacht. Es gab wohl niemanden, der sich für eine kirchliche Laufbahn weniger eignete als Tom Lasser. Wahrscheinlich wartete in jedem Hafen eine Frau auf ihn.
Endor war aus ihrem Verschlag gekommen, um ebenfalls dabei zuzusehen, wie sie in den Hafen einfuhren. Sie reckte ihr Gesicht dem feinen Sprühnebel entgegen, der hinter dem Schiff hochstob. Kate war sowohl überrascht als auch erfreut zu sehen, dass auf ihrem Gesicht ein zufriedener, ja beinahe seliger Ausdruck lag. Sie ist glücklich, dachte Kate. Selbst in ihrem Zustand ist sie glücklich. Fast beneidete sie die verstümmelte Frau. Stellt sich etwa, wenn man so sehr gelitten hat und der Schmerz endlich nachlässt, leichter ein Gefühl der Zufriedenheit ein?, fragte Kate sich unwillkürlich. Oder reichte es Endor einfach aus, in der Gegenwart des Mannes zu sein, den sie liebte.
Das letzte Segel des Schiffes wurde eingeholt, und die Siren’s Song verlor an Fahrt, trieb nun sanft im Kielwasser der vielen anderen Schiffe dahin. Ein paar Minuten später stieß sie mit einem Knirschen gegen die Mole. Man hörte das knarrende Geräusch von Tauen, die abgerollt wurden, als man den Anker auswarf und den Landungssteg auf den Kai herabließ. Das Abendrot war inzwischen noch intensiver geworden, überzog den Himmel jetzt mit Streifen aus dunklem Orange und Purpur und tauchte die Lagerhäuser an der Werft in tiefe Schatten. Menschen eilten geschäftig hin und her, riefen etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand, und bewegten sich behände zwischen Wagen und Karren hin und her, die beladen oder entladen werden sollten. Überall war das Geklapper von Hufen und das Wiehern von Pferden zu hören, dazwischen vernahm man immer wieder die Kutscher, die ungeduldig fluchten. Das geschäftige Treiben und die vielen Geräusche überwältigten Kate schier.
Fremde Stimmen.
Fremde Gebäude.
Plötzlich packte sie das Heimweh. Es ergriff sie eine tiefe Sehnsucht nach etwas Vertrautem, und wenn es nur die enge Kabine war, in der sie und John die letzten fünf Nächte verbracht hatten, aneinandergeschmiegt wie zwei Löffel in einem hölzernen Schrank.
John bückte sich, um ihren Koffer zu nehmen, der neben ihr stand.
»Das mache ich schon, Sir«, sagte einer der Seeleute. Noch bevor John ihm danken konnte, hievte er die schwere Kiste auf seine Schultern und verließ über den Landungssteg das Schiff. Dies war das Zeichen, ihm zu folgen. Das war’s also, dachte sie. Einem Moment lang ergriff sie Panik.
In ihrer Beklemmung hatte sie Endor vollkommen vergessen, bis die Frau auf sie zukam, sie am Arm festhielt und ihr etwas in die Hand drückte. Überrascht sah Kate die grob gearbeitete Münze aus Zinn an, die Endor stets an einer Schnur um den Hals getragen hatte. Sie erkannte die Prägung: eine Pforte mit zwei Frauen, einer älteren, die hinter einer jüngeren stand. Die Jüngere
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