Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
nach Greenwich, um mich dort mit ihm zu treffen.«
»Dann habt Ihr das fürstliche Gewand also doch nicht meinetwegen angelegt.«
»Glaubt Ihr, ich würde mich für eine private Unterredung mit einem anderen Mann so kleiden? Diese Neigung ist mir nun wirklich fremd.« Er lachte und führte ihre Hand an seine Lippen. »In meinem Herzen steht eine Dame an erster Stelle.«
Unter den wachsamen Blicken des Herzogs von Suffolk und von Lord Neville hauchte er ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange, einen Kuss so keusch wie jener, den sie von ihrem Vater erhalten hatte, als er sich auf den Weg gemacht hatte, um seinen Pflichten als Botschafter nachzukommen.
»Lasst Ihr mich wissen, wie das Treffen ausgegangen ist?«, rief sie, als er ging. Und dann noch: »Gute Reise, Mylord. Möge Gott Euch schon bald zurückkehren lassen.«
Aber Gott war offensichtlich nicht gewillt, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Als sie das nächste Mal von Heinrich hörte, war es bereits Mitte Februar. Er jagte bei Wind und Regen im New Forest. Er schickte ihr zwei Kaninchen und ein Reh, »von des Königs eigener Hand erlegt«, und einen Brief, in dem er ihr mitteilte, dass der Kardinal ihn benachrichtigt habe, dass sich seine Reise aufgrund der ungünstigen Witterung verzögere und er deshalb auch nicht sagen könne, wann er in London eintreffen werde. Das Treffen mit dem Neffen der Königin erwähnte Heinrich mit keiner Silbe, versicherte ihr aber wortreich, wie sehr er sich danach sehne, sie an seiner Seite zu haben. Nichts als nette Worte. Sie zerknüllte den Brief und warf ihn ins Feuer, während sie sich fragte, ob Katherine ihn nach Richmond begleitet hatte. Er mochte vielleicht nicht mehr mit ihr schlafen, aber er ging noch immer mit ihr auf Reisen. Das Volk jubelte ihr noch immer als Königin zu. Anne hatte gehört, dass die Frauen, die die Straßen säumten, wenn sie im feierlichen Aufzug vorbeifuhr, sie die »gute Königin Katherine« nannten und Blumen auf ihren Weg streuten.
Im April schließlich brach das Schweißfieber auch in London aus. Heinrich schrieb ihr, dass sie auf jeden Fall der Stadt fernbleiben solle. Wenn der Kardinal nicht bald komme und sein Legatsrecht ausübe, um dem englischen Erzbischof eine Entscheidung zu ermöglichen, dann sehe er sich gezwungen, mit Rom zu brechen. Jedenfalls solle sie erst einmal in Hever bleiben, da er von einem Herzogtum zum nächsten unterwegs sein werde, um dem Schweißfieber zu entgehen. Er versprach jedoch, ihr ein ganz besonderes Geschenk zukommen zu lassen. Die Vorfreude auf dieses Geschenk hob ihre Stimmung ein wenig. Ihre Lustlosigkeit kehrte jedoch schon bald wieder zurück. Was nützten ihr Diamanten und Gold, wenn sie keine Gelegenheit hatte, sie auch zu tragen?
Als ihr besonderes Geschenk eintraf, hatte es jedoch rein gar nichts mit Diamanten und Gold zu tun.
21
… Ich wünschte, ich hielte Euch in meinen Armen oder Ihr mich in den Euren, denn ich glaube, es ist lange her, dass ich Euch küsste. Das habe ich nach der erfolgreichen Jagd auf einen Hirsch geschrieben und in der Hoffnung, mit Gottes Hilfe morgen einen weiteren zu erlegen, dies mit ebenjener Hand, die, wie ich überzeugt bin, schon bald Euch gehören wird.
Aus einem auf Französisch verfassten Brief Heinrichs an Anne Boleyn, der sich jetzt im Besitz der Bibliothek des Vatikans befindet.
A nne Boleyn hielt, so wie jeden Tag, an ihrem Zimmerfenster nach der Livree des Königs Ausschau. Sie war nicht allein. Ihre Schwester Mary Carey hatte beschlossen, mit ihren Kindern zum Hever Castle zu kommen, weil das Schweißfieber inzwischen auch das Gut der Careys im PleasancePark erreicht hatte. Als ihr Ehemann William erkrankt war, war sie mit ihren beiden Kindern nach Hever geflohen. Anne war trotz ihrer Einsamkeit keineswegs erfreut gewesen, sie zu sehen. Während sie nach Heinrich Ausschau hielt, entging ihr nicht, dass Mary sie mit dem Blick einer Katze beobachtete, die einer Maus auflauert.
Ihre kleine Nichte, die nach der Königin benannt war – es sah Mary ähnlich, dies ganz besonders zu betonen; glaubte sie denn wirklich, die ganze Welt sei blind? –, spielte zu ihren Füßen mit ihren Puppen, während ihr Neffe, der natürlich den Namen Heinrich trug, im Kinderzimmer schlief. Eine Puppe hatte das Antlitz von Königin Katherine, die andere das von Prinzessin Mary, was Anne sehr irritierte. Wenn sie das Kind ansah, bildete sie sich ein, Heinrichs trotzigen Mund und seine intelligenten Augen zu erkennen,
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