Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
neugierig an.
»Bist du die Frau mit den Büchern?«
Das Lachen fühlte sich seltsam in Kates Kehle an.
»Nun, früher habe ich einmal Bücher verkauft. Aber das ist schon lange her.« Sie ging in die Hocke und ergriff die Hand des Kindes. »Ich sehe, dass du fleißig gewachsen bist. Aus dir ist ein wunderschönes kleines Mädchen geworden.«
Madeline sah ihre Mutter freudestrahlend an.
»Du hattest recht, Maman«, sie nickte, so als hätte sie auch bei jedem anderen Thema das letzte Wort, »sie ist sehr nett.«
Kate bat die beiden herein und bot ihnen Endors Honigkekse an. Als das Kind nach der Süßigkeit griff, fiel ihr auf, was für ein hübsches Kleid es trug, auch wenn die minderwertige Qualität des Stoffes im Widerspruch zu der eleganten Näharbeit stand.
»Du hast aber eine sehr hübsche Haube, Madeline«, sagte Kate und bot ihr einen zweiten Keks an.
Um Winifreds Augen, ein wunderschönes Kornblumenblau und ein wenig heller als die ihrer Tochter, bildeten sich Fältchen, als ihr Lächeln sich bis zu ihren Augen ausbreitete.
»Es kann durchaus von Vorteil für ein armes Kind sein, wenn seine Mutter Näherin ist«, sagte sie.
Kate bemerkte, wie erschöpft sie aussah und wie dünn ihre Arme waren.
»Euer Ehemann?«, fragte Kate. »Geht es ihm gut?«
Winifred sah zu dem kleinen Mädchen hinunter und sagte leise: »Mein Franzmann wurde am ersten Mai vor zwei Jahren bei den Unruhen getötet.«
»Oh, das tut mir leid«, sagte Kate und erinnerte sich, dass sie sogar in Antwerpen von dem Massaker unter den ausländischen Arbeitern gehört hatte.
»Dann haben wir etwas gemeinsam«, sagte sie nach einer Pause, »ich habe meinen Mann auch verloren.«
Danach kamen Winifred und Madeline oft zu Besuch. Den ganzen Herbst und Winter hindurch erfreute Kate sich ihrer Gesellschaft. Sie bat Endor, stets einen Vorrat an Honigkuchen bereitzuhalten, und erbot sich, an den Tagen, an denen die Mutter eine Kundin besuchte, auf das Kind aufzupassen. Mehr als einmal erschien dann auch der Kapitän. Anscheinend hatte er das kleine Mädchen sofort ins Herz geschlossen. Kate sah den beiden zu, wie sie miteinander spielten. Sie lachte herzlich, wenn sie sah, wie er in seiner feinen Hose auf dem Boden herumkrabbelte und so tat, als wäre er ein bockendes Pferd, während Madeline vergnügt quietschend auf seinem Rücken ritt. Eines Tages brachte er ein Kätzchen mit, das Madeline wegen des weißen Flecks auf seiner Kehle prompt »Krause« nannte.
»Genauso wie beim Kapitän«, sagte das Kind und zeigte auf dessen Rüschenkragen. Der Kapitän stimmte in Kates Lachen ein und mimte einen stutzerhaften Höfling.
Kate fiel auf, dass er sich jetzt eleganter als früher kleidete. Sie nahm an, dass einige jener Höflinge, über die er sich lustig machte, mit ihren Verlusten beim Glücksspiel erheblich dazu beitrugen, die Reparatur seines Schiffes zu finanzieren. Aber was hätte sie dagegen sagen sollen, wenn sie und Endor dadurch etwas zu essen hatten und Kerzen anzünden konnten?
Im Winter war das Tageslicht kostbar, und da die Zunftregeln es verboten, bei Kerzenlicht zu arbeiten, bot Kate an, jeden Tag auf Madeline aufzupassen, damit ihre Mutter ungestört arbeiten konnte. Das Kind machte keine Schwierigkeiten, und der Buchladen kam Kate nicht ganz so trübselig vor, wenn die Kleine da war. Endor genoss ebenso ihre Gegenwart. Die beiden spielten stundenlang schweigend mit Stoffpuppen. Ihnen bei ihrer komplizierten Zeichensprache zuzusehen, lenkte Kate ein wenig von ihrem Kummer ab, bis ihr eines Tages bewusst wurde, dass sie den beiden den ganzen Nachmittag über zugesehen hatte, ohne ein einziges Mal an John zu denken. In diesem Moment begannen endlich ihre Tränen zu fließen.
Danach ging es ihr besser. Der Gedanke, was John alles hatte ertragen müssen, überwältigte sie immer wieder aufs Neue. Der Schmerz schwächte sich jedoch mit der Zeit zu einem bedrückenden Gefühl des Verlustes ab. Sie trauerte sogar im Schlaf um ihn. Aber die Momente des Vergessens wurden häufiger, vor allem wenn der Kapitän vorbeikam, um mit Madeline zu spielen und ihnen besondere Leckerbissen mitzubringen.
Und bald lenkte sie eine Sorge ganz anderer Art ab. Ihr fiel auf, dass Winifred mit jedem Tag dünner wurde. Sie aß fast nichts mehr – nicht einmal Endors Hefebrot.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Kate eines Tages, nachdem die kleine Näherin einen entsetzlichen Hustenanfall gehabt hatte. »Endor hat einen wunderbaren Trank, der wird
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