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Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Titel: Die englische Ketzerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Vantrease
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besonders viel daran lag, Sir Thomas die Missbilligung des Königs zu ersparen, aber wer konnte schon sagen, wohin eine solche Szene noch führen mochte? Womöglich würde alles damit enden, dass man sich um sie balgte wie Hunde, die sich unter einem der Tische um einen Knochen stritten.
    Der Lautenspieler begann wieder auf seinem Instrument zu spielen, und die ersten Töne einer bekannten Melodie erfüllten den Saal.
    »Mögt Ihr Liebeslieder, Lady Anne?«, rief Heinrich mit dröhnender Stimme.
    Anne stand wieder auf. Langsam ging ihr dieses ständige Auf und Ab auf die Nerven. Sie wusste, dass der König das mit voller Absicht machte, weil er sich darüber ärgerte, dass sie nicht neben ihm saß.
    »Alle Damen mögen Liebeslieder, Euer Majestät. Und ich bin in dieser Hinsicht keine Ausnahme«, sagte sie so liebenswürdig wie möglich, in der Hoffnung, mit ihrem freundlichen Ton seinen Unmut zu besänftigen.
    »Dann sagt mir doch bitte, ob Euch speziell dieses Lied gefällt. Euer König hat es geschrieben und möchte es jetzt vortragen lassen. Um Euch zu erfreuen.«
    »Meine Familie fühlt sich sehr geehrt, Euer Majestät.« Sie machte wieder einen tiefen Knicks, während sie mit Genugtuung sah, wie schön das Licht der Kerzen auf den Falten ihres gelben Rockes schimmerte.
    Sie achtete stets darauf, sich mit Anmut zu bewegen. An den Maßstäben des Hofes gemessen, der blondes Haar und blaue Augen verlangte, war sie keine besondere Schönheit – wie ihre Kritiker nicht müde wurden, immer wieder zu betonen –, und dessen war sie sich durchaus bewusst. Sie hatte ihre kleinen runden Brüste hochgeschnürt, sodass sie sich über dem viereckigen mit Bändern verzierten Ausschnitt wölbten. Sie war sich auch bewusst, dass der König ihr von seinem erhöhten Platz aus in den Ausschnitt sehen konnte, wenn sie einen tiefen Knicks vor ihm machte. Ihre Beine ermüdeten allmählich von der gebeugten Haltung, aber selbst aus mehreren Schritten Entfernung konnte sie die Hitze seines Verlangens spüren.
    Der Sänger begann mit seinem Lied. Die wehmütigen Verse erfüllten den Saal. »Alas, my love, you do me wrong, to cast me off so discourteously …«
    Anne spürte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Der König umwarb sie ganz offen und schamlos, hier direkt vor seinem ganzen Hof, obwohl sie ihm davon abgeraten hatte. Katherine hatte in diesem Raum viele Freunde. Außerdem waren da noch die vielen eisernen Katholiken, die den wachsenden Einfluss einer Favoritin fürchteten, die gewissen Reformen nicht abgeneigt gegenüberstand. So wie Wolsey. Oder Thomas More. Sie spürte den Groll, den sie zwar nicht offen zu zeigen wagten, der aber wohl genauso heftig war wie der Hass, den sie gegenüber dem Kardinal empfand.
    Sie behielt ihre Haltung während des ganzen Liedes bei, lauschte dem Text, während sie sich an den französischen Hof zurückwünschte, wo sie mit den Hofdamen so unbeschwert hatte lachen können. Sie wünschte sich, über die mit Blumen übersäten Wiesen von Hever Castle zu reiten oder mit ihrem Lehrer in den Niederlanden über Theologie zu diskutieren. Oder besser noch, vor dem Ankleidezimmer der Königin heimlich Percy zu küssen – sie wünschte sich verzweifelt, irgendwo anders zu sein, nur nicht hier, wo man sie lächerlich machte.
    »Greensleeves is my one desire.«
    Ihr Gesicht tat ihr vom gekünstelten Lächeln weh. Und ihre Beine waren inzwischen beinahe taub. Dann kam der Refrain.
    »If you intend thus to disdain, it does the more enrapture me.«
    Und was wird geschehen, wenn ich schließlich Eure Königin bin? Sie dachte an Katherine, die stundenlang auf Knien in der Kapelle verbrachte und darum betete, dass ihr Mann zu ihr zurückkam.
    Das Liebeslied endete, und unter den Höflingen brach lauter Beifall los. Sie riefen »Bravo« und »Huzzah«. Der König gebot ihnen mit einer Geste zu schweigen.
    »Lady Boleyn, was haltet Ihr von dem musikalischen Geschenk Eures Königs?«
    Sie hörte jemanden am Nachbartisch laut Luft holen, stellte sich die wissenden Seitenblicke, die Rippenstöße und die hinter vorgehaltener Hand geflüsterten Bemerkungen vor.
    Sie hob den Kopf, reckte kühn das Kinn.
    »Sire, ich finde, Ihr seid ein Mann mit vielen außergewöhnlichen Talenten. Dies ist nur eines von vielen Beispielen.«
    Er sah sie stirnrunzelnd von seinem Podium herunter an. Es kam ihr so vor, als seien plötzlich all die Festgäste verschwunden und sie beide befänden sich allein im Saal.
    »Himmelherrgott,

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