Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
der sich immer wieder an fremdem Eigentum vergreift!«
»Dein Vater ist mächtig genug, um sich gegen den König zu
behaupten«, erwiderte Hugh ruhig. »Und du bist hier sicher, weil wir über eine ähnliche Macht verfügen. Wir werden nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«
Die beschwichtigende Geduld in seiner Stimme trieb Mahelt zur Weißglut. Sie war kein Kind mehr, das getröstet werden musste.
»Was ist mit meinen Brüdern? Wer wird sie beschützen?«
Hugh schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht, dass sie in Gefahr schweben. Dein Vater hat Verbündete, Männer, die bei Hof auf sie Acht geben. Baldwin de Béthune zum Beispiel, mein Bruder William Longespee ebenso. Er ist ja durch Heirat mit dir und durch Blutsbande mit mir verwandt.«
Während Mahelt darüber nachdachte, schlug ihr Zorn in einen dumpfen Schmerz um.
»Sie sollten bei ihrer Familie sein, statt wegen der Laune eines Königs als Geiseln am Hof festgehalten zu werden. Würdest du auch so reden, wenn er deine Brüder gefangen halten würde?«
Hugh rieb sich über das Kinn.
»Ich würde diese Dinge in Erwägung ziehen, aber vielleicht hast du Recht, ich würde anders darüber denken.«
Sie erschauerte.
»Ein Ungeheuer verschwindet nicht, auch wenn du dich vor ihm hinter dicken Mauern verschanzt.«
»Das stimmt, aber es hilft, wenn man weiß, mit welcher Art von Ungeheuer man es zu tun hat, wenn man sich dagegen zur Wehr setzen will. Du meinst, ich würde deine Ängste herunterspielen, aber ich möchte wirklich, dass du dich in Framlingham sicher fühlst.«
»Das tue ich doch.« Sie entspannte sich etwas und blickte ihn unter ihren Wimpern hervor an.
»Gut.« Er lächelte sie an, und Mahelt spürte, wie sich Wärme in ihrer Magengegend ausbreitete. Sie fragte sich, wie es wohl sein würde, in jeder Hinsicht seine Frau zu sein. Die Wärme stieg höher und trieb ihr das Blut in die Wangen. Plötzlich brauchte sie dringend Bewegung. Sie bückte sich, hob einen Stock auf und schleuderte ihn mit aller Kraft von sich, damit Tripes ihn zurückholen konnte. Als der Hund loslief, rannte sie ihm hinterher und spornte ihn mit heller Stimme an.
Während er zusah, wie sie mit Tripes spielte, musste Hugh über ihren sprunghaften Stimmungswechsel lächeln. Er verspürte ein leises Ziehen im Bauch, als er mit dem vergnügten Blick eines Künstlers die Koordination ihrer Bewegungen und ihre geschmeidige Anmut bewunderte. Außerdem empfand er Mitleid mit ihr. Sie musste rasch erwachsen werden, und immer mehr Aufgaben zu übernehmen war sicher nicht einfach. Stumm schwor er sich, sie so gut wie möglich zu beschützen und ihr den Übergang zum Erwachsensein zu erleichtern. Mit dieser Entscheidung stellte sich ein warmes Gefühl von Besitzerstolz ein. Er trug nicht nur die Verantwortung, sondern auf ihn wartete auch eine Belohnung.
12
Framlingham, Mai 1207
Es war Nähtag. Mahelt saß über ihre Stickerei gebeugt und stichelte entschlossen, aber ohne große Begeisterung daran herum. Es war eine zeitraubende Beschäftigung, und man konnte nur geringe Ergebnisse vorweisen, aber Ida zuliebe und um sich als gute Schwiegertochter zu erweisen, tat sie ihr Bestes. Einer der wenigen Vorteile dieser Arbeiten bestand darin, dass sie Zeit hatte, über Hugh nachzudenken und mit offenen Augen von seinem Lächeln und seinen lebhaften meerblauen Augen zu träumen.
Während der letzten drei Monate hatte sie seine Gesellschaft genossen und sich einsam gefühlt, wenn er anderswo zu tun hatte. Sie ritt fast jeden Tag mit ihm aus, und obwohl sich unweigerlich Diener oder andere Begleiter in ihrer Nähe aufhielten, gab es immer wieder Momente, die nur ihnen gehörten. Es war zu einer Art Spiel geworden. Manchmal hielt er ihre Hand, wenn sie mit den Hunden spazieren gingen, und er war nicht aufgebraust, als Tripes seine besten Ziegenlederschuhe zernagt hatte.
Er sprach mit ihr über Musik und Poesie. Häufig las er ihr aus der Büchersammlung der Familie vor: Fabeln von Äsop, Sagen von König Artus, Romanzen von Marie de France. Sie liebte es, ihm zuzuhören – zum einen, um der Geschichten willen, zum anderen, weil sie es genoss, seiner klangvollen Stimme zu lauschen, die den Worten Leben verlieh.
Heute hatte er sich den größten Teil des Morgens mit seinem Vater und seinen Brüdern zurückgezogen, um eine die Grafschaft betreffende Angelegenheit zu besprechen. Die Atmosphäre war angespannt gewesen, obwohl in Gegenwart der Frauen kein Wort gefallen war. Als
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