Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
heimisch wurde, ging von Warmzeit zu Warmzeit zurück
(Tab. 6–1)
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In einer frühen Warmzeit des Eiszeitalters, die als Tegelen-Zeit bezeichnet wird, gediehen noch Scheinzypresse und Lebensbaum, Tulpenbaum und Magnolie, an einigen Orten auch Schirmtanne und Mammutbaum in Mitteleuropa. In späteren Warmzeiten traten sie nicht mehr in Erscheinung. In einer folgendenWarmzeit, der Waal-Zeit, fanden sich Hemlocktanne, Hickory, Walnuss, Esskastanie und Hopfenbuche zum letzten Mal in Mitteleuropa ein. In der Cromerzeit gab es dort noch Zürgelbaum und Wilden Wein, in späteren Warmzeiten nicht mehr. In der Holstein-Warmzeit war die Flügelnuss zum letzten Mal am Aufbau der mitteleuropäischen Vegetation beteiligt. In der letzten Warmzeit, dem Eem-Zeitalter, kamen Tanne, Fichte und Buchsbaum überall in Mitteleuropa vor, in der jetzigen Warmzeit sindsie dort nicht mehr allgemein verbreitet. Buchsbaum, Efeu und Stechpalme waren in einigen Warmzeiten Elemente der mitteleuropäischen Vegetation, in anderen nicht. Die Buche kam ebenfalls wohl nicht in allen Warmzeiten in Mitteleuropa vor; in der Eem-Warmzeit war sie erheblich seltener als im Holozän oder der Nacheiszeit.
Tab. 6-1 Vorkommen bestimmter Baumarten in verschiedenen Warmzelten des Eiszeitalters In Mitteleuropa (nach Lang 1994).
Unter dem Einfluss des Wechsels klimatischer Bedingungen wurde die artenreiche Flora, die im Tertiär bestanden hatte, in Europa also dezimiert. Das hing mit besonderen landschaftlichen Situationen in Europa zusammen. Am Mittelmeer gab es nur kleine und voneinander isolierte Gebiete, an denen Populationen von Gehölzen die Kaltphasen des Eiszeitalters überdauern konnten. Etliche dieser Populationen mögen nur aus wenigen Individuen bestanden haben. Je kleiner die Populationen am Ort der Eiszeitrefugien waren, desto geringer war auch deren genetische Vielfalt. Die genetische Verarmung der Populationen konnte zur Folge haben, dass sich eine Baumart nach dem Ende der Eiszeit nicht wieder nach Norden auf Standorte ausbreiten konnte, die etwas andere Eigenschaften aufwiesen als die Refugialstandorte. Und je kleiner die genetische Vielfalt innerhalb einer Population wurde, desto größer war die Gefahr, dass sie ausstarb.
Einer Ausbreitung von Pflanzenarten nach Norden standen in Europa außerdem die von West nach Ost ausgerichteten Hochgebirge im Weg. Ausbreitungsbahnen von Pflanzenarten bestanden nur im Westen und Osten der Hochgebirge, der Pyrenäen, Alpen und Karpaten. Die Flora Europas wurde aus diesen Gründen insgesamt von Warmzeit zu Warmzeit immer artenärmer.
In Nordamerika und Ostasien erstrecken sich Küstenlinien, niedrig gelegene Flächen und Gebirge von Nord nach Süd; entlang dieser Linien konnten sich Populationen von Pflanzen besser ausbreiten. Die Gebiete der eiszeitlichen Refugien waren außerdem größer, so dass individuenreichere Populationen im Süden überdauern konnten. Daher starben dort weniger Pflanzenarten als in Europa während der Kaltphasen des Eiszeitalters aus. Als Folge davon ist die Vegetation der gemäßigten Zonen in Ostasien und Nordamerika heute viel artenreicher als diejenige in Europa.
Nach dem Ende der letzten Eiszeit breiteten sich im Lauf einiger Jahrtausende aus heutiger Sicht zum letzten Mal Wälder in die gemäßigten Klimazonen der Erde aus: Zunächst bestanden die zonalen Wälder an vielen Orten Europas aus Kiefern und Birken. Diese Bäume breiteten sich aber auch an Standorten aus, die wir heute als extra- oder azonal bezeichnen. Die Kräuter, die in der Zeit des Eisrückzuges die zonale Vegetation gebildet hatten, hielten sich nicht, als die Beschattung durch die Bäume zu stark wurde. Nur an Orten, die waldoffen blieben, kamen diese Pflanzen weiterhin vor: an sonnigen Steilhängen, auf den Köpfen von Felsen, auf flachgründigen Standorten in Flussniederungen, also an solchen extrazonalen und azonalen Standorten, die von Bäumen nicht eingenommen wurden. Weil das Nahrungsangebot in Mitteleuropas dichter werdenden Wäldern abnahm, zogen die Rentiere weiter gen Norden, wo sich noch ausgedehnte waldoffene Vegetation befand. Nur kleinere Waldtiere belebten noch die Wälder in Mitteleuropa.
Die Früchte und Samen anderer Baumarten, die ebenfalls vom Wind verbreitet werden, sind schwerer. Daher nahm deren Ausbreitung längere Zeit in Anspruch; Beispiele dafür sind Linde, Ulme, Esche und Ahorn. Eicheln wurden von Tieren verbreitet, etwa von Eichelhähern und Eichhörnchen. Auch die
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