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Die Entfuehrung der Wochentage

Die Entfuehrung der Wochentage

Titel: Die Entfuehrung der Wochentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Kleine
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mit ihm zusammen in das Haus hinein. Zu ihrer Überraschung musste sie nicht in ihre Zelle, sondern wurde in ein geräumiges, helles Zimmer geführt. Verwundert sah sie sich um. Die Vorhänge waren zur Seite gezogen und gaben den Anblick auf ein atemberaubendes Panorama frei. Sie konnte die weißen Bergspitzen und die dunkelgrauen Wolken sehen, die an den Wipfeln hingen.
    »Ein heftiger Schneesturm zieht auf«, seufzte er und warf ein Holzscheit in den Kamin, der eine behagliche Wärme ausstrahlte. »Also keine gute Zeit für weitere Erkundungen der Berglandschaft, klar?«
    Die letzten Worte galten wohl ihr. Sie seufzte und ließ sich auf die braune Ledercouch sinken, die vor dem Kamin stand. Sie war so durchgefroren, dass sie nicht mal das lodernde Feuer wärmen konnte. Ihr ganzer Leib zitterte. »Mein Bedarf ist gedeckt«, erwiderte sie und kuschelte sich näher an die Flammen.
    Er setzte sich zu ihr auf das Sofa, faltete die Decke auseinander und befühlte ihre Stirn. »Ich schwöre dir, wenn du krank wirst, bringe ich dich um!«
    »Machst du dir etwa Sorgen um mich?«
    »Nein, um mich. Ich muss für meine Fehltritte geradestehen.« Er lehnte sich vor und zog eine kleine Kiste unter dem Couchtisch hervor. Neugierig verfolgte Sofia, wie er den Truhendeckel öffnete und einen Klebeverband herausholte. »Eigentlich müssten sie genäht werden, aber ich muss wohl improvisieren«, seufzte er und machte sich daran, die Schnitte abzukleben. Nachdem er auch den letzten Kratzer versorgt hatte, legte er alles feinsäuberlich in die Kiste zurück.
    Sie blinzelte ihn an. Seine schwarze Maske funkelte im Feuerschein magisch und in seinen Pupillen spiegelten sich die rotgelben Flammen, als er seinen Kopf dem Feuer zuwandte.
    »Du schläfst heute Nacht bei mir. Sicher ist sicher«, murmelte er nachdenklich.
    »Das ist dein Zimmer?«
    »Jap.«
    »Nett.«
    Sie wälzte sich herum, wurde von ihrer schmerzenden Schulter schnell eines Besseren belehrt und nahm ihre alte Position wieder ein. Jetzt, wo sie die Hitze des Feuers deutlich spüren konnte, kam auch der enorme Durst zurück. »Kann ich etwas Wasser haben?«
    Der Mann fuhr zusammen. »Oha«, stieß er atemlos aus, rannte los und kam mit einem Glas in der Hand wieder zurück. Sie beäugte ihn kritisch. »Doch kein Profi, was?«
    Er ersparte sich selbst und ihr eine Antwort und hielt ihr stattdessen das Gefäß auffordernd hin. »Da, trink! Es enthält das Gegenmittel und wird dir guttun.«
    »Noch besser würde mir meine Freiheit tun«, erwiderte Sofia böse, bevor sie im rasanten Tempo das Wasser austrank, als befürchtete sie, man könne es ihr wieder wegnehmen.
    Und dann, kaum dass sie den Becher leer getrunken hatte, stellte ihr Entführer ihn achtlos beiseite und steifte sich die Maske vom Kopf. Sofia blickte zuerst erschrocken auf das Plastikungetüm, welches ohne die menschlichen Pupillen dahinter noch seelenloser und gruseliger wirkte, dann wanderten ihre Augen zu dem Gesicht des Entführers hin. Er hatte ein ernstes, junges Gesicht und sanfte Augen, die gar nicht zu den kantigen Wangenknochen passen wollten. Seine Züge wirkten zu weich für einen kriminellen Psychopathen.
    Sie knete nervös die Decke zwischen ihren Händen, denn sie konnte nicht einordnen, weshalb er seine Identität preisgab. »Es war doch Gift hineingemischt, stimmt‘s?«
    Seine Mundwinkel umspielte ein warmherziges Lächeln: »Nein, es schläft sich nur sehr unbequem in dem Ding.«
    »Aber jetzt könnte ich dich …« Sie unterbrach sich rasch, aber er beendet ihren Satz: »Identifizieren?«
    Sie schluckte und wagte es nicht, ihn weiter anzusehen. Doch er schien nicht böse, eher amüsiert. »Dazu wirst du keine Möglichkeit haben.«
    »Wer bist du?«, flüsterte Sofia.
    »Willst du das wirklich wissen?«
    Das »Ja« kam ihr fast nicht über die Lippen, aber die Neugierde siegte über ihre Angst.
    »Ich heiße Tristan«, begann er, sich vorzustellen, »Ich bin Darksons Diener.«
    Ihr blieb die Luft weg. Sie konnte nicht anders, als den jungen Mann mit offenem Mund anzustarren. »Sein Diener?«, wiederholte sie ungläubig.
    »Ja, ich soll mich um dich kümmern.«
    Sie klappte ihren Mund zu und öffnete ihn erst nach ein paar Sekunden wieder, um nachzuhaken: »Kümmern? Um mich? Was soll das heißen?« Ihr war ganz mulmig zumute.
    Der Mann schlug die Decke, die auf ihrem Körper lag, zurück und er betrachtete die Folgen ihrer Flucht, die sich als weiße Klebestreifen auf ihrer Haut abzeichneten.

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