Die Entlarvung
Alkoholismus Ihrer Tante war sein Alibi. Aber man stelle sich das Ganze einmal vor. King hat in einem unbedachten Moment sein Geheimnis preisgegeben und sich damit in die Hand Ihrer Tante begeben. Das ist aber noch nicht alles. Vor zehn Jahren habe ich mich schon einmal mit Harold King beschäftigt. Ich bin überzeugt, daß er für den Tod zweier Geschäftskonkurrenten verantwortlich ist, die ihm zu sehr ins Gehege gekommen waren. Dem Bericht Ihrer Tante zufolge hat er ihr gestanden, daß er eine Gruppe unbewaffneter britischer Kriegsgefangener getötet hat. Er hat Ihre Tante schlecht behandelt, hat sie wahrscheinlich gehaßt. Glauben Sie wirklich, daß er es riskiert hätte, als Mörder entlarvt zu werden? Schauen Sie sich das Timing an: zehn Tage nachdem sie mit Ihnen gesprochen hat, stürzt sie so schwer, daß sie beinahe stirbt. King schreckt vor Mord nicht zurück, soviel steht fest. Ich sage Ihnen, Mrs. Adams, weshalb ich hier bin. Ich habe weder vor, Ihre Familie durch den Dreck zu ziehen, noch möchte ich Ihnen Schwierigkeiten oder Kummer bereiten. Ich will herausfinden, was mit jenen Kriegsgefangenen in der Wüste geschehen ist. Deshalb bin ich hinter Harold King her. Und Sie sind die einzige Zeugin, die etwas über sein Geständnis sagen kann.« Er stand auf. Im Raum war es sehr still. Der Anwalt wich nicht von Jeans Seite. Sie sah blaß und mit einemmal sehr alt aus.
»Vielen Dank, daß ich herkommen durfte«, verabschiedete sich Ben. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr aufgeregt. Ich finde allein hinaus.«
Er war bereits an der Haustür, als der Anwalt ihn einholte. »Was Sie sich erlaubt haben, ist einfach ungeheuerlich«, erregte er sich. »Sie haben keinerlei Beweise für Ihre Behauptung – und selbst wenn, würde dies nichts ändern!«
»Ich bitte dich, Dick.« Jean Adams war ihnen in den Flur gefolgt. »Du mußt nicht so aggressiv mit Mr. Harris sprechen.« Sie trat heran und öffnete ihrem Gast die Tür. »Ich werde alles noch einmal überdenken«, versprach sie und gab Ben die Hand. Ihre Finger waren kalt und zitterten leicht. »Das bin ich meiner Tante schuldig, sollte er sich tatsächlich an ihr vergangen haben. Ich melde mich bei Ihnen, Mr. Harris. Auf Wiedersehen.«
Ben durchquerte den kleinen Vorgarten, vorbei an Rosensträuchern, die bereits für die kältere Jahreszeit zurückgeschnitten waren. Auf der anderen Straßenseite legte der Beobachter in dem dunkelblauen Volvo seine Landkarte beiseite und machte sich eilig ein paar Notizen.
»Ben«, sagte Julia sanft, »du hast dich richtig verhalten. Wir brauchen Jean Adams' Erklärung.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Aber du hättest sie sehen müssen, wie mitgenommen, wie erschüttert sie war. Ich fühle mich richtig mies, J. Wahrscheinlich bin ich schon zu lange weg von der Basis unseres Jobs und an die Härten nicht mehr gewöhnt. Ich sitze ja nur noch im Büro und lasse andere die Drecksarbeit machen. Ich fühle mich nicht gut dabei.«
Julia küßte ihn. »Ich weiß. Aber du hast trotzdem das Richtige getan. Wir sind beide überzeugt davon, daß King die arme Phyllis umbringen wollte. Und wenn wir nun mit Jeans Hilfe nachweisen könnten, daß er auch ein Kriegsverbrecher ist, dann wäre er geliefert, Ben. Nach den neuen Gesetzen könnte man ihn anklagen und vor Gericht stellen!«
»Wir wissen nicht, ob Jean zu dieser Hilfe bereit sein wird«, wandte Ben ein. »Denn ihr Anwalt wird sich bestimmt redlich Mühe geben, sie davon abzuhalten. Ich hatte zwar beim Abschied das Gefühl, als hätte ich sie für mich gewonnen, aber sicher können wir erst sein, wenn sie uns angerufen hat. Warten wir also ab. Danke, Liebes.«
»Wofür?« Julia strich ihm sanft übers Haar. »Streunende Katzen, alte Damen und der rauhe, zähe Ben Harris … du bist ein wirklich liebenswerter Mann. Ich lade dich jetzt zum Essen ein. Und danach, wenn wir zurückkommen, wirst du verwöhnt wie noch nie!«
»Daddy«, rief Gloria King, »was ist los?«
Harold King saß zusammengesunken vor dem Fernseher in seinem Arbeitszimmer. Eine Zigarre verglomm im Aschenbecher, auf dem Bildschirm flimmerte eine geistlose Serie, die der Vater normalerweise sofort abgeschaltet hätte. Er sah müde und abgespannt aus. Sie setzte sich zu ihm auf die Sessellehne und legte einen Arm um ihn. »Bist du mir immer noch böse wegen des Briefs?« fragte sie. »Es tut mir so leid, ich habe ja versucht, dir zu erklären …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie konnte es nicht
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