Die Entlarvung
draußen.«
»Von wegen«, fuhr er sie an. »Greueltaten sind auf beiden Seiten verübt worden. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe dort gekämpft.«
Julia sah ihn überrascht an. »Tatsächlich? In der Sahara?«
»Für kurze Zeit, ja.« Er wechselte das Thema. »Ich will Ihnen aber nicht Ihre Arbeit abnehmen. Außerdem muß ich noch einmal betonen, daß sich ein solcher Fehlschlag wie der letzte, der die arme Mrs. Adams das Leben gekostet hat, nicht wiederholen darf. Haben Sie mich verstanden? Ich gebe Ihnen einen Monat, Julia. In der Dezemberausgabe muß Harold King in den ›Enthüllungen‹ an der Reihe sein. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«
Julia stand auf. »Für Dezember kann ich nicht garantieren, Lord Western. Aber ich werde ihn überführen. Wegen Jean Adams, und aus keinem anderen Grund.« Sie verließ das Büro.
Western verharrte reglos auf seinem Stuhl. Er wirkte oft wie erstarrt, wenn er nachdachte. Harold King war in Amerika. Western wußte auch warum. Er bündelte seine Kräfte, um mit dem Frontalangriff auf Western International zu beginnen. Western hatte Freunde im amerikanischen und kanadischen Bankmilieu. Seit einiger Zeit schon waren ihre Warnungen vor King lauter geworden. Wenn die Größenordnungen stimmten, von denen sie sprachen, dann würde Western den Kampf verlieren. Dezember. Er hatte seine Gründe, warum er auf der Einhaltung des Erscheinungstermins bestand. King würde noch etwas Zeit benötigen, bis die riesigen finanziellen Transaktionen, von denen dauernd die Rede war, in die Wege geleitet waren. Aber Anfang des neuen Jahres mußte mit ersten Schritten gegen Western International gerechnet werden. Er drückte auf den roten Knopf auf seinem Tisch, ein Zeichen an seine Sekretärin, daß er nicht gestört zu werden wünschte.
Er legte den Kopf auf seine Hände und ließ seine Gedanken in die Vergangenheit wandern. Zurück zu der Hitze, den Sandstürmen, dem lauernden Tod in der Wüste.
Ein sauberer Krieg, hatte diese junge Frau behauptet. Dabei stammte sie aus einer Generation, die zu Kriegszeiten noch gar nicht geboren war. Keine Belege in der offiziellen Geschichtsschreibung.
Nichts in den verherrlichenden Biographien der großen Truppenführer Montgomery und Rommel. Ein Gentlemen-Krieg, hatte irgendein Idiot geschrieben.
Es gab viele Bücher von Männern, die in der Sahara gekämpft hatten, die dabei zu Ruhm und Ehre gelangt waren und deshalb den Krieg durch eine romantisch verklärte Brille sahen. Tapfere Soldaten, Ritter der Wüste. Er hatte anderes erlebt.
Die Narben auf seinem Körper sprachen für sich. Sie befanden sich auf seinem Rücken.
»Ich werde selbst mit Leo Derwent sprechen«, verkündete Julia.
»Eine gute Idee«, meinte Ben.
»Ich möchte herausfinden, ob King wirklich hinter alldem steckt. Danach kann Stevens ans Werk gehen. Ich hätte heute morgen beinahe alles hingeschmissen, als Western glaubte, mich an Jean Adams erinnern zu müssen.«
»Er wollte dich nur provozieren«, sagte Ben. »Er schert sich weder um Jean Adams noch um sonst irgendwen. Nur er selbst ist von Interesse. Mach dir nichts aus seiner Bemerkung. Wenn er versucht, dich auf diese Weise anzutreiben, wird er sich noch wundern, der Mistkerl.« Er füllte zwei Gläser mit Wein. Wie gut, daß Julia Western gegenüber nichts von King erwähnt hatte. Allmählich lernte sie, wie man mit dem Mann umgehen mußte.
»Besitzen wir eigentlich ein Who 's Who?« fragte Julia plötzlich. Ben hatte kaum Möbel, dafür aber sehr viele Bücher in die neue Wohnung mitgebracht.
»Ja, sieh mal auf dem obersten Regalbrett nach«, erwiderte er.
»Ich möchte mich über ›Western‹ informieren«, erklärte sie.
Sie war gereizt an diesem Abend. Das Gespräch mit Western hatte sie sehr belastet. Der Mann hatte sie mit seinem scheinheiligen Gerede über die arme Jean Adams an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ben wußte, wie sehr sie sich über den Tod der Frau grämte.
»Da steht es«, rief sie. »Schau, er hat in dem East Anglian Regiment gedient. Er war 1942 in Nordafrika, ist dort verwundet worden, in Gefangenschaft geraten und 1943 nach England zurückgekehrt.«
»Und?« erkundigte sich Ben. »Worauf willst du hinaus?«
»Er hat heute morgen einen merkwürdigen Kommentar abgegeben: ›Greueltaten sind auf beiden Seiten verübt worden …‹ Ich habe mich darüber gewundert, Ben.« Stirnrunzelnd klappte sie das schwere Buch zu und stellte es an seinen Platz zurück. »Du meintest doch,
Weitere Kostenlose Bücher