Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
innehalten ließ. Sie konnte weder etwas hören noch wittern, und dennoch spürte sie seine Nähe.
Sie kamen zurück!
Sie waren ganz nah. Ihr Geist und ihr Herz eilten ihnen entgegen, und nicht nur sie. So stand Alisa schon vor der Tür, als diese aufgestoßen wurde, und sank in Leos Arme.
»Da seid ihr ja endlich. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
Leo tätschelte ihren Rücken und küsste sie sanft auf die Lippen. »Aber warum denn? Wir sind schon groß und können auf uns aufpassen.«
Alisa seufzte glücklich. »Ja, ich weiß, und doch bin ich es nicht mehr gewohnt, allein in meinem Sarg zu liegen.«
»Das ist ein Argument«, spottete Leo. »Wie schrecklich, so viel Platz für sich zu haben.«
Tammo schnaubte und zog eine Miene des Abscheus. »Jetzt reicht es aber mit eurer Gefühlsduselei! Können wir mal zur Sache kommen?«
Leo löste sich aus Alisas Umklammerung und schob sie sacht beiseite, sodass auch die anderen eintreten konnten.
»Du bist ganz grau im Gesicht«, bemerkte Alisa mit Schrecken. Sie hob die Hand und legte sie an Leos Wange, die ihren porzellanartigen Schimmer eingebüßt hatte. Auch in Anna Christinas und in Lucianos Gesichtern war ein Hauch von Zerfall zu sehen.
»Was ist passiert?«, frage Alisa besorgt.
»Nichts!«, wehrte Luciano ab. »Wir waren lediglich gezwungen, den Tag an einem nicht besonders geeigneten Ort zu verbringen.«
»Der Ruine einer Kirche auf einer verlassenen Insel«, konkretisierte Leo. »Die Sonne konnte dort zwar nicht eindringen, aber vollständig geschützt waren wir vor ihrer mächtigen Aura offensichtlich nicht.«
Er sah auf seine ebenfalls grauen Hände hinab. »Nichts, was morgen nicht wieder vergessen sein wird«, wehrte er ab, doch so leicht ließ sich Alisa nicht beruhigen.
»Es war eng, nicht wahr? Ihr seid nur knapp der Vernichtung entgangen?«
»Wir hatten lediglich zu wenig Zeit. Die Nacht ist zu schnell verstrichen«, meinte Anna Christina.
»Aber ihr habt das Versteck der Larvalesti aufgespürt«, drängte Alisa. »Und Clarissa gefunden?«, fügte sie mit Zweifel hinzu.
»Das Erste ja, das Zweite nein«, sagte Leo und runzelte die Stirn. Etwas schien ihm nicht zu passen. Er ließ den Blick aufmerksam über den Dachboden schweifen, aber erst als Tammo ein Stück zur Seite trat, traf sein Blick auf den offenen Sarg und auf die Gestalt, die darinnen saß. Nicoletta hatte es aufgegeben, sich schlafend zu stellen, und betrachtete die Neuankömmlinge mit unverhohlenem Interesse. Leo starrte zurück, doch es war seine Cousine, die aussprach, was er dachte.
»Ah, sieh mal einer an. Hier haben wir ja die verlorene Nicoletta, die von ihrem Vater so schmerzlich vermisst wird. Wobei andere eher bezweifeln, dass ihr etwas zugestoßen ist. Sie sei nur mal wieder davongelaufen, sagen sie, was auf einen dickköpfigen Charakter schließen lässt.«
»Das haben sie gesagt?«, schnaubte das Mädchen. »Ich kann mir schon denken, wer Vater so etwas einzureden versucht.«
Leo ging nicht darauf ein. Er schaute stattdessen in die Runde. »Wie ich sehe, hattet auch ihr eine bewegte Nacht. Die Tochter des Clanführers als Geisel zu nehmen, war ein guter Schachzug.«
Tammo warf sich in die Brust. »Ich habe sie ganz allein gefangen genommen und hierhergebracht, während sich Alisa und Hindrik von den Oscuri, die sie verfolgt haben, an der Nase haben herumführen lassen.«
Leo schmunzelte. »Ja, auch davon haben wir gehört. Sie haben euch nicht nur bemerkt, sie konnten euch auch erfolgreich abhängen und sich dann in aller Ruhe zu ihrem Versteck aufmachen.«
Alisa stöhnte. Es war ihr zutiefst peinlich. »Ich weiß auch nicht, wie sie uns entdeckt haben. Jedenfalls haben sie uns kreuz und quer durch Cannaregio geführt – sogar bis zum jüdischen Ghetto! Und dann zurück zum Canal Grande, wo sie auf einen Turm stiegen, ihre schwarzen Schwingen ausbreiteten und davonflogen. Wir konnten nichts tun.«
»Du hättest dich wandeln können«, warf Anna Christina ein, die in ihrem schmutzigen Unterkleid dastand, als sei sie eine Königin in ihrer besten Robe.
Alisa blitzte sie wütend an. »Ja, das hätte ich, wenn diese Oscuri nicht unsere Sinne mit ihrem blöden Pulver durcheinandergebracht hätten!«
Leo trat zwischen die beiden Vampirinnen. »Darüber reden wir später.«
»Ja, denn zuerst möchten wir wissen, was ihr herausgefunden habt«, meldete sich Hindrik zu Wort. »Wo ist das Versteck der Oscuri und was konntet ihr in Erfahrung bringen?«
Leo
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