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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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ernsthaft, oder? Ich habe mich ein wenig hinter der Bühne herumgetrieben und bei den Arbeitern und den Mädchen vom Ballettcorps Erkundigungen
eingezogen. - Grins nicht so! Es ging mir nicht um die Ballettratten. Du weißt, dass ich glücklich verheiratet bin.«
    »Als ob das eine etwas mit dem anderen zu tun hätte«, murmelte Oscar, doch Bram ging nicht darauf ein.
    »Das Phantom führt sich auf, als sei es der Herr des Hauses, und ist dem Direktor eine arge Last. Es mischt sich in Besetzungen ein, vergrault Ensemblemitglieder, die ihm nicht passen, und treibt manche Tänzerin zu Schreikrämpfen. Auch gibt es immer wieder Arbeiter, die sich weigern, Hand an die Kulissen zu legen. Mit jedem Stockwerk, das man tiefer steigt, werden sie ängstlicher und trauen sich gar nur zu zweit oder dritt hinunter zu den unteren Aufzügen. So etwas tut einem Theaterbetrieb nicht gut - ganz zu schweigen von den zehntausend Francs, die das Phantom monatlich einfordert!«
    Oscar lachte hell auf. »Dein Phantom gefällt mir immer besser. Es hat Kunstsinn und weiß sich gut zu kleiden - wie ich gehört habe -, und es hat eine einfache, praktisch arbeitsfreie Methode gefunden, seinen Unterhalt zu bestreiten. Erpressung, das sollte ich mir merken, für den Fall, dass meine Schneider und Wirte mir keinen Kredit mehr geben wollen. Zehntausend Francs pro Monat!« Oscar pfiff durch die Zähne. »Ich frage mich, wie er es schafft, so viel Geld zu verbrauchen. Er ist ja schließlich nicht Stammgast in diesen sündhaft teuren Etablissements am Pigalle - zumindest ist mir das nicht bekannt.«
    »Hm«, antwortete sein Freund abwesend.
    Oscar blieb stehen und sah ihn von der Seite an. »Was ist mit dir? Du bist nicht bei der Sache, und das, obwohl wir über dein Lieblingsthema sprechen.« Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören.
    »Siehst du dieses Mädchen dort vorn?«
    »Das dünne Ding mit dem schwarzen Haar? Sie ist ja noch ein halbes Kind! Von ihr lässt du dich ablenken? Mein Freund, ich habe dich anscheinend falsch eingeschätzt.«
    »Rede keinen Unsinn!«, wehrte Bram ein wenig unwirsch ab. »Sieh sie dir genau an. Wie sie gekleidet ist und sich bewegt.«
    »Ja, und?«
    Inzwischen begannen sich die Straßen zu leeren. Zumindest hatte
sich der Anteil der Passanten sehr zugunsten der männlichen Flanierenden verschoben. Frauen waren nur noch in Begleitung eines Ehemanns, Bruders oder Vaters unterwegs. Anständige Frauen der Gesellschaft zumindest.
    »Sie sieht nicht so aus, als dürfte sie um diese Zeit hier alleine unterwegs sein«, sagte Bram mit der strengen Stimme eines fürsorglichen Vaters.
    Oscar betrachtete das Mädchen, das gerade eine der Gaslaternen passierte, aufmerksam, dann nickte er. »Ja, du hast recht. Sie wirkt nicht wie ein leichtfertiges Mädchen von der Straße. Und sie scheint recht zielstrebig. Sieh doch, mein Freund, ich glaube, sie beschattet jemanden.«
    Die beiden Freunde folgten dem Mädchen, das anscheinend selbst auf Verfolgungsjagd war.
    Bram runzelte die Stirn. »Ja, es ist der Mann dort vorn in dem dunklen Gehrock mit den gestreiften Hosen und der schwarzen Melone. Er scheint keinen Verdacht zu schöpfen, so wie er voranschreitet und den Spazierstock schwingt.«
    »Was sie wohl von ihm will? Ich kann sein Gesicht nicht sehen, doch nach seiner Statur und der Art, wie er sich bewegt, zu urteilen, ist er wesentlich älter als sie«, fügte Oscar hinzu, der an der Sache Spaß zu gewinnen schien. »Was meinst du, will sie von ihm? Eine Liebesaffäre?«
    »Ich bin überzeugt, dass sie ein anständiges Mädchen aus gutem Hause ist!«, betonte Bram.
    »Ja, ja«, beschwichtigte Oscar. »Dennoch könnte er ihr Verlobter sein und sie misstraut seiner Treue und will sich nun selbst überzeugen. Was meinst du? Komm, sag etwas. Irgendeinen Einfall musst du doch haben. Vielleicht bekommen wir die Gelegenheit, herauszufinden, wer mit seiner Vermutung näher dran ist. Los, du musst einen Vorschlag abgeben«, forderte ihn sein Freund fröhlich auf.
    Bram ließ sich widerstrebend auf das Spiel ein. Irgendetwas trieb ihn, dem Mädchen weiter zu folgen und eine Erklärung für ihr seltsames Verhalten zu finden.
    »Also Bram. Was schlägst du vor?«

    »Er ist ihr Vater, der mit einer Ausrede jeden Abend das Haus verlässt und das Geld der Familie durchbringt. Die Mutter ist unglücklich und weiß nicht mehr, wie sie die Gläubiger ruhig stellen kann. Lange genug hat die Tochter dem schweigend zugesehen, nun will

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