Die Erben des Terrors (German Edition)
antwortete Ren. Das war auch keine Frage, „wichtig“ implizierte, dass „Nein“ keine Antwortmöglichkeit ist.
„Ich habe heute Abend ein Gespräch mit Chen Lanquing“, sagte Rong.
Chen Lanquing war der Leiter der Intelligence Operations Division, kurz der Chef des halben Gebäudes. „Oh“, sagte Ren, nicht wissend, wie er involviert sein kön nte.
„Einer meiner Mitarbeiter hat als Anhang einer eMail zwei One-Time Pads gefunden, die zwei Nachrichten entschlüsseln, die einer Ihrer Mitarbeiter au fgezeichnet hat.“
„Ah.“
„Die betreffenden Nachrichten sind aus der Kurzwellenfunküberwachung. Sie kennen sie sicher nicht, aber Chen wird Sie sicher fragen, daher wollte ich Sie kurz vorbereiten.“
Ren lächelte. Natürlich kam man in keiner Bürokratie, vor allem nicht der ch inesischen, in eine so hohe Position wie er, wenn man keine ordentlichen Kontakte hatte und pflegte. Aber Rongs Entgegenkommen in diesem Fall hätte er auch leicht gegen ihn verwenden können – ein wirklicher Freund. Denn natürlich kannte Ren nicht alle der vielen Millionen täglich übermittelten chiffrierten Nachrichten. Aber One-Time Pads?
„Wirklich One-Time Pads? Wer benutzt so was heute noch?“
„Die erste Nachricht kam laut Protokoll aus der karibischen See. Die zweite aus der Gegend von Wolgograd.“
„Die Russen? Was machen die denn noch?“
„Nun ja, wenn das kein Scherz sehr gut organisierter Amateurfunker war, dann ist in der Karibik jemand, der seinen Einsatzbefehl für einen Angriff auf New York bestätigt haben will und in irgendeinem Wald bei Wolgograd hat ihm das jemand bestätigt.“
„Angriff auf New York?“
„Mehr steht da nicht.“
„Das ist nicht viel. Chen wird darüber nicht glücklich sein.“
„Ich weiß. Deswegen will ich da nicht alleine hin – es geht darum, dass wir ihm einheitlich erklären, dass wir nicht mehr wissen.“
„Von meiner Seite kann ich das schon bestätigen – Funk ist schwer zu orten und vor allem unpersönlich. Aber eMails?“
„Auch ein Grund, warum ich nicht alleine sein will. Der Empfänger der eMail ist bei der 61398.“
„Einer von der 61398 sollte es doch eigentlich besser wissen.“
„Nächstes Problem: Der Mann, Zhang Jin, ist weg. Untergetaucht. Ich wollte ihn gestern Nacht abholen lassen, aber er war weg. Spurlos verschwunden, Handy noch in der Wohnung.“
„Schlecht. Und der Absender?“
„Ein Deutscher, Daniel Dreyer, keine wirklich interessanten Informationen. Ex-Militär, aber eher Wissenschaftler. Hat sich ein Boot gekauft und von der Zivilisation verabschiedet.“
„Und woher hat der die One-Time Pads?“
„Das ist die wichtige Frage. Meine Agenten sind unterwegs, aber ein Mann mit einem Boot ist nicht allzu leicht zu finden.“
„Wohl wahr. Also gut, dann sehen wir uns bei Chen Lanquing.“
„Sechs Uhr dreißig.“
„Bis dann.“
Wall Street
21 . Juli 2013
39° 53’ 15.85” Nord, 116° 24’ 44.29” Ost
Hu Wang KTV, Beijing, Volksrepublik China
Der Hu Wang KTV Club war ein Members-Only Nachtclub, der ausschließlich die Bedürfnisse der wirtschaftlichen und politische Elite Chinas bediente. Von außen sah das Gebäude unscheinbar aus, man könnte es für ein Bürogebäude halten, wären nicht die vielen teuren Autos vor der Tür, nicht die vielen wartenden Männer in schwarzen Anzügen, und die vier westlichen Türsteher in der Lobby.
Chen Lanquing stieg aus dem Taxi und hielt einen Moment ehrfürchtig inne – sogar er als Leiter der Analysten des MSS hatte nicht oft die Ehre, hier Einlass zu bekommen. Und vor allem nicht das Geld, das war etwas für echte Politiker mit Kontakten zur Wirtschaft, nicht für Geheimdienstleute. Aber heute war es den Politikern wohl wichtig genug, ihn an einen der privatesten Orte des Reiches zu bringen. Einen, den es nicht gab, weil es ihn nicht geben durfte.
Er nahm eine 小熊 猫 -Zigarette aus der türkisgrünen Schachtel mit den goldenen Lettern darauf und zündete sie sich demonstrativ an, als ihn die Türsteher aufhielten. Das beeindruckte die Türsteher aber weniger, als es das noch vor zehn, oder gar zwanzig Jahren getan hätte. Vor zwanzig wären alle ehrfürchtig zur Seite getreten, da nur der Staatchef, Deng Xiaoping, diese Zigaretten rauchte. Heute hingegen…
„ You yaoqing ma?“, sagte einer der bulligen Türsteher in gebrochenem chinesisch. Die Europäer waren hier nur beschäftigt, weil es Eindruck machte – ihre Sprachkenntnisse reichten in der
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