Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
über die Kuppeldecke gebreitet, die Milchstraße ein kaum sichtbarer, geschlängelter Fluss.
Kalter Tau sickerte in meine Schuhe, und kleine Pflanzenstückchen, die einen frischen, würzigen Geruch verströmten, klebten an meinen Fußgelenken: Geschnittenes Gras – so etwas hatte ich noch nie gesehen. Meine Schritte verursachten ein quietschendes Geräusch darauf.
Mein Hals trieb mich zur Eile an. Vor mir lag der Strand. Ein Funkeln wie von kleinen Diamanten überzog den See, und der Sand klebte auf der Schicht nassen Grases an meinen Schuhen.
Was mache ich hier eigentlich?
Ganz ruhig, das muss jetzt einfach sein , sagte der neue Techniker. Und ich fühlte, dass er recht hatte: Ich musste den sengenden, alles verzehrenden Juckreiz bekämpfen, und es gab nur einen Weg, das zu tun. Darüber bestand dieselbe Gewissheit wie gestern, als ich mich unter die Dusche gestellt hatte – und mit jeder Minute der Qual und jedem Schritt, den ich tat, sah ich klarer.
Das Wasser leckte an meinen Schuhen. Künstliches Mondlicht über der Schwärze, ein Quietschen der rosti gen Scharniere des Stegs. Das Hallen und Schwappen des Wassers in den Schatten darunter, zwischen den Schwimm körpern aus Styropor.
Ich streifte meine Schuhe ab und dachte daran, dass ich erst gestern hier beinahe ertrunken wäre – doch kaum, dass meine Zehen das Wasser berührten, spürte ich, wie sich eine plötzliche Ruhe in mir ausbreitete. Meine Füße tauchten ein, und ich zitterte kurz vor eisiger Kälte. Doch das Gefühl der Erleichterung nahm ebenfalls zu. Ich warf mein T-Shirt auf den Sand und ging bis zu den Knien ins Wasser. Meine Muskeln zuckten, und ich spürte, wie meine Fußsohlen sich kurz verkrampften. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen, meiner Brust aus, doch gleichzeitig war es eine solche Erlösung – der Schmerz an meinem Hals klang endlich ab. Es war genau wie unter der Dusche: Das Wasser linderte den Schmerz. Erleichtert schaute ich zum Himmel und atmete tief ein …
Nur dass es nicht funktionierte. Die Luft strömte zwar über meine Zähne und Zunge, dann aber blieb sie mir im Hals stecken, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Meine ganze Brust war fest verschlossen – nichts gelangte mehr hinein. Ich gab erstickte Laute von mir.
Und irgendwas an meinen Wunden hatte sich verändert: Sie fühlten sich seltsam an, offen, fast als würden sie sich bewegen. Ich riss am Verband, bis er sich löste. Mit den Fingern ertastete ich die bebenden Hautlappen an meinem Hals; tatsächlich war es, als würden die Schnitte zum Leben erwachen.
Atme! Schon wieder versank ich in einer Dunkelheit, ertrank … nur dass es diesmal an der Luft passierte. Meine Brust schmerzte. Ich sah kleine Sternchen. Ich taumelte, warf mich herum, als würde mein Körper seinem eigenen Willen folgen. Mit dem Gesicht voran schlug ich ins Wasser und tauchte unter. Abermals strömte mir Wasser in den Mund …
Und auf einmal bekam ich wieder Luft. Das Gefühl der Panik verging.
Es ergab überhaupt keinen Sinn.
Es ergab alles einen Sinn.
Ich schlug die Augen auf und sah wirbelnde Sandkörnchen unter mir. Die kalte Nachtluft strich mir über den Rücken. Ich trieb mit dem Gesicht nach unten im seichten Uferwasser. Meine Lungen reagierten nicht; das beständige Auf und Ab des Zwerchfells, das ich mein ganzes Leben lang gespürt hatte – außer in den zehn Minuten gestern früh –, war vorbei, und doch …
Diesmal war alles in bester Ordnung – weil sich stattdessen etwas Neues bewegte.
Mein Mund stand weit offen, meine Zunge kämpfte gegen das eindringende Wasser, doch es erreichte gar nicht erst meine Lungen. Meine Wangen drückten das Wasser in meinen Hals und dann wieder hinaus, wodurch es die Bewegung an den Seiten verursachte. Etwas flatterte dort im Strom, wie wenn man mit den Fingern winkt. Ich spürte die Wunden …
Doch es waren gar keine Wunden. Das waren …
Kiemen.
Yep, die neuen Systeme sind online , verkündete der neue Techniker stolz. Er wandte sich zu den Versammelten um und schüttelte die Hände der anderen. Vielen Dank für Ihre Geduld.
Millionen Fragen drängten sich mir auf, und alle begannen sie mit Wie . Ich hatte keine Antworten, und dennoch machte ich mir keine Sorgen. Noch komischer war aber, dass mich das alles eigentlich kaum überraschte, genauso wenig wie das unter der Dusche oder gestern am See. Fast kam es mir vor, als ob all dies geplant gewesen wäre, als wüsste mein Körper die ganze Zeit genau,
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