Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
wärst du erledigt.«
»Das ist es, was mich von deiner Sippe unterscheidet«, sagte Pater Silvicola und beugte sich nach vorn. Alexandra spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Mein Geständnis wird in schriftlicher Form erfolgen, weil ich zu diesem Zeitpunkt längst tot bin. Ich werde zusammen mit der Teufelsbibel ins Feuer gehen.«
Alexandra starrte ihn fassungslos an. Sein Lächeln war geblieben, doch sein Atem ging jetzt schneller, und er hatte die Augen fast geschlossen.
»Geh jetzt«, sagte er leise. »Ich habe dafür gesorgt, dass deine Sachen und Reiseproviant zur Verfügung stehen und ein Pferd. Kehr zurück mit der Teufelsbibel, und du wirst deine Familie wiedersehen.«
»Ich muss mich verabschieden …«
»Nein. Alles, was du tun musst, ist zu gehen.«
»Schwöre mir, dass du es ehrlich meinst und uns alle freilässt, wenn ich meine Aufgabe erledigt habe.«
»Was bedeutet dir ein Schwur? Nach denen, die du heute schon gehört hast …?«
»Schwöre!«
»Na gut. Ich schwöre dir bei meiner Zugehörigkeit zum Orden der Societas Jesu, dass ich deine Familie freilassen werde.«
Alexandra wartete, doch er schwieg. Nach ein paar Herzschlägen wusste sie, dass sie nicht mehr bekommen würde. Sie nickte – mit dem Gefühl, einen monströsen Fehler zu begehen und dennoch nicht anders zu können.
9.
Pater Silvicola kniete auf dem Boden vor dem Altar in der Spitalskirche. Er hatte die Schwestern gebeten, ihn nicht zu stören. Die Stille in der kleinen Kirche war absolut. Er konnte die Geräusche der Außenwelt hören, die kaum vernehmbar hereindrangen, und das Echo, das sein stoßweiser Atem verursachte. Ihm war zum Speien übel. Er hatte den Stein ins Rollen gebracht, nun gab es keinen Weg mehr zurück. Aber der Preis dafür war so hoch gewesen! Nach dem Mord an Pater Nobili hatte er wider besseres Wissen gehofft, dass er sich nicht noch einmal so sehr mit Sünde beladen müsste. Hier, in der Kapelle und angesichts der Dinge, die er im Haus der Khlesls gesagt und getan hatte und die er, wie er nun nicht mehr leugnen konnte, noch sagen und tun würde, bis er endlich am Ziel wäre … er hatte sich in Wahrheit nicht klargemacht, wie sehr er sich denen würde in der Sünde angleichen müssen, die er vernichten musste. Er hatte nicht geahnt, mit welcher Macht die Teufelsbibel ihn berühren, ihn beschmutzen, versuchen würde, ihn zu verderben …
»Vater, vergib mir«, flüsterte er. »Ich habe gesündigt, aber ich habe es getan, um die Sünde zu besiegen.«
Dennoch, die eigene Schuld blieb und würde noch größer werden. Pater Nobili … das Kind, das er bedroht hatte … dieFrau, die er misshandelt hatte … die Lügen, die er erzählt hatte … und das Feuer, das er am Ende entzünden würde … er konnte nur hoffen, dass dieses Feuer auch seine Seele reinigen würde, wenn er mit auf den Scheiterhaufen stieg …
»Väterchen, vergib auch du mir«, wisperte er und spürte die Tränen, die in seinen Augen brannten. Über die gesamte Dauer seines neuen, seines zweiten Lebens hinweg fühlte er die Berührung der riesigen Pranke, die sich auf seine Schulter legte, während die Albträume ihn zucken und schreien ließen. Er erinnerte sich an sein Gelübde, als hätte er es gestern abgelegt, viel deutlicher als das Ordensgelübde, das später gefolgt war. Er erinnerte sich an die Überraschung, als die völlig erschöpfte Frau, die in nichts als ein schmutziges Hemd gehüllt war, plötzlich auf der Lichtung erschienen war, auf der er, der jetzt Giuffrido Silvicola hieß, und der alte Einsiedler seit Tagen ihr Lager aufgeschlagen hatten und wo sie bereits von etlichen Bürgern der nahen Stadt aufgesucht worden waren, die ihre Sünden lieber einem völlig Fremden beichteten als dem Pfarrer, dem sie später wieder in die Augen sehen mussten. Die Frau hatte »Asyl!« gekeucht und die Beine des Alten umklammert. Die Überraschung hatte sich in Entsetzen verwandelt, als die Soldaten und die Männer mit den Knüppeln gekommen waren.
»Väterchen, vergib mir«, flüsterte er erneut, ohne sich dessen bewusst zu sein. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Vergangenheit. Das wütende Geschrei der Neuankömmlinge gellte in seinen Ohren genauso laut wie damals. Der wilde Triumph, als einer der Männer nach der Frau fasste und der Einsiedler ihn einfach hochhob und gegen den nächsten Baumstamm warf … der Schock, als der Alte unter den Knüppeln und Fäusten der
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