Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Reiter, feuerten ihre Pistolen in die Luft, johlten und pfiffen. Die Herde – in Panik, seit die Schlacht angefangen hatte – drehte durch. Es gab nur ein Ziel – dorthin, wo die Reiter nicht waren. Dass es die Richtung war, in der sich das Lager befand, spielte keine Rolle. Die Angst vor den Reitern war größer. Wie ein einziger riesiger, vielhundertbeiniger Leib wälzten die Tiere sich vom Pferch herunter und ergossen sich über die Zelte. Die Reiter hetzten sie weiter, als wären sie verrückt gewordene Hütehunde. Schafe gerieten unter die Hufe von Kühen, Gänse explodierten in Federgestöber, Schweine überschlugen sich und verschwanden unter stampfenden Beinen, aber die Herde rannte vorwärts, eine Sintflut aus stinkenden, dreckigen Leibern, eine muhende, blökende, brüllende Apokalypse, die nicht einmal reagierte, als ein paar Verwegene die Musketen hochrissen und in sie hineinfeuerten – bevor auch sie unter der Lawine verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.
Andreas sprang über die Stricke, mit denen das große Zeltvertäut war. Er merkte nicht, dass er vor Entsetzen schrie. Das kleinere Zelt der Offiziersfrauen duckte sich dahinter. Die Zeltklappe flog auf, und ein Soldat, offenbar eine Wache für die Sicherheit der Frauen, rannte mit hoch erhobenem Rapier heraus. Andreas stürmte einfach in ihn hinein, riss ihn mit sich, das Rapier wirbelte davon, zweihundert Pfund in Rage und Panik geratenen Kaufmannsleibs prallten auf den Soldaten wie eine mannsgroße Kanonenkugel, und als sie in den Bahnen der Innenzelte, den Kissen, den niedergewalzten Stühlen und zerschmetterten Tischen zur Ruhe kamen, stand der Soldat nicht wieder auf. Andreas sprang auf die Beine. Um ihn herum kreischten Frauen. Blindlings riss er die nächste Zeltplane auf und stürzte hinein.
»Karina? Lýdie?«
»Andreas?«
»Papa!«
Andreas stieß eine Gestalt in Röcken und Taft zurück, die sich kreischend auf ihn stürzte, und nahm den kürzesten Weg in Richtung der Schreie, durch eine weitere Zeltwand hindurch. Karina und Lýdie kauerten auf einem Feldbett. Grafin Maria Agathe stand neben ihnen, das Haar aufgelöst, die Zähne gebleckt, und zielte mit einer Pistole auf Andreas. Er rammte sie mit der Schulter, und sie stürzte über ihre Reisekommode, warf sie um und riss mit ihr den rückwärtigen Teil des Zelts nieder. Ihre Pistole fiel auf den Boden, ohne loszugehen – sie hatte vergessen, den Hahn zu spannen. Andreas, der ohne zu denken funktionierte, nahm sie an sich, wirbelte herum, spannte den Hahn, drückte ab … ein zweiter Wächter, der hinter ihm hergestürmt war, flog wieder durch die Öffnung hinaus, während der helle Stoff rund um die Öffnung herum plötzlich hellrot gesprenkelt war.
»Karina, Lýdie – kommt! Schnell!«
Die beiden stürzten mit weit aufgerissenen Augen auf ihn zu. Er zog Karina an sich und packte Lýdie um die Hüfte,schleifte sie nach draußen. Lýdie schrie auf, als sie den toten Wächter im Vorzelt liegen sah. Der Boden bockte und schien zu tanzen unter dem Dröhnen, mit dem die Herde draußen vorbeidonnerte. Das Offizierszelt zitterte, schwankte, fiel in sich zusammen. Andreas hörte Klirren und Bersten. Eine Kuh sprang aus dem Chaos heraus, eine Fahne mit dem rotsilbernen Wappen Graf Königsmarcks um die Hörner gewickelt. Eine Ziege schnellte mit wilden Bocksprüngen hinter der Kuh her, auf dem Kopf eine lange schwarze Lockenperücke. Dann stieg ein Pferd mit wirbelnden Hufen direkt vor ihnen in die Höhe, Lýdie schrie erneut auf, zwei weitere Pferde schlugen wild aus und tanzten ebenfalls auf den Hinterbeinen, ihre Zügel in der Faust des Reiters; der Reiter beugte sich zu ihnen herab und brüllte: »Das war ja einfach! Spring auf, Bruderherz, wir werden in Prag gebraucht!«
18.
Ebba konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. Im einen Augenblick waren sie und die anderen in ihr sicheres Verderben galoppiert, hatten quasi schon in die Mündungen der Musketen geblickt, die auf sie gerichtet wurden – und im nächsten hatten sie sich inmitten einer durchgehenden Herde von mindestens hundert Pferden befunden, die über das Lager der Dragoner kam wie der Zorn Gottes, und falls überhaupt ein Schuss auf sie abgefeuert worden war, hatte sie ihn nicht gehört. Auch jetzt waren sie noch ein Teil der Herde, hatten den zweiten Hügelkamm längst überwunden und hielten im Galopp auf die Ruinen von Podlaschitz zu. Hinter ihnen befand sich das Lager, durch das sich ein breiter
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