Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Sein Haar war von einem hellen Kupferrot, und als er den Hut zog, fuhr der Wind durch die Strähnen. Mr. Marshall schien offen und unkompliziert – das genaue Gegenteil von den düsteren, brütenden Helden, die die Seiten von Emilys Romanen füllten.
Dennoch fühlte sie etwas, von dem sie bislang nur in den Seiten ebensolcher Bücher gelesen hatte. In ihrem Hals prickelte es, und eine Hitzewelle breitete sich über ihre Haut. Sie war sich ihrer selbst überdeutlich bewusst, etwas durchlief sie. Ein Schauer . Sie spürte genau jetzt einen echten Schauer, nur, weil sie ihm in die Augen schaute.
Wie furchtbar.
Sie sah schnell weg. „Mr. Cromwell“, sagte sie, wollte verzweifelt dieses Gefühl loswerden. „Wie reizend, Sie wiederzusehen.“
Er schien sich nicht über den falschen Namen zu ärgern. Er zuckte mit keiner Wimper, unternahm keinerlei Anstalten, sie zu verbessern. „Miss Fairfield“, erwiderte er und lächelte so freundlich, dass sie fast einen Schritt zurück gemacht hätte.
Mr. Marshalls Gefährte war ein dunkelhaariger Gentleman, auf den die Beschreibung ‚düsterer Held‘ deutlich besser zutraf. Er blinzelte verwundert und blickte neugierig zwischen ihr und seinem Freund hin und her. „Cromwell?“, erkundigte er sich leise.
„Ja“, antwortete Mr. Marshall. „Habe ich vergessen, das zu erwähnen? Ich gehe meinen politischen Ambitionen unter einem angenommenen Namen nach. Spiel einfach mit, Sebastian.“ Er wandte sich wieder an Jane und sagte: „Miss Fairfield, darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen? Das hier ist Mr. Sebastian …“
Der andere Mann machte einen Schritt nach vorne und nahm ihre Hand. „Sebastian Brightbuttons.“ Mit einem Blick zu Mr. Marshall fügte er halblaut hinzu: „Wenn du einen angenommenen Namen haben darfst, will ich auch einen.“
In all den Monaten, in denen Jane nun schon ihre Scharade spielte, hatte sie gelernt, mit fast jeder Reaktion auf ihre Eigentümlichkeiten zurechtzukommen. Sie konnte mit allem umgehen, von Verärgerung zu Ungläubigkeit.
Aber Verspieltheit? Das war neu. Sie schluckte und versuchte zu tun, was sie immer tat. Sie stellte sich die Unterhaltung als ein formidables Vierergespann vor. In ihrer Phantasie fuhr sie es in halsbrecherischem Tempo über eine Straße, und die Räder glänzten im Sonnenschein. Und dann lenkte sie die Kutsche geradewegs in eine Hecke.
„Sebastian“, überlegte Jane laut. „Wie Sebastian Malheur, der berühmte Wissenschaftler?“ Das war ein Vergleich, der diesen Herrn verstören musste. Malheur war ein Name, den man oft in Cambridge hörte, ein Mann, der dafür bekannt war, Vorlesungen und Vorträge zu halten, in denen er unverhohlen über Fortpflanzung und Geschlechtsverkehr sprach – allerdings unter dem Vorwand, über Vererbungslehre zu reden. Sein Name wurde zusammen mit dem von Charles Darwin verflucht und manchmal auch mit noch übleren Schmähungen bedacht.
Aber statt rot zu werden, wechselte Mr. Brightbuttons nur einen amüsierten Blick mit Mr. Marshall.
„Ja, genau wie er“, sagte Mr. Brightbuttons. „Folgen Sie begeistert seiner Arbeit? Ich schon.“ Er lehnte sich ein wenig vor. „Genau genommen finde ich, dass er einfach brillant ist.“
Marshall betrachtete sie wieder, und unter seiner Musterung prickelte ihre Haut.
Das war der Moment, in dem Jane erkannte, dass sie einem Irrtum erlegen war. Diese Sommersprossen, seine Herkunft – das alles hatte sie zu der Einschätzung verleitet, er sei eine stille kleine Maus.
Das war er mitnichten. Er war ein Wolf, der aussah, als hielte er sich am Rande des Rudels, ein einsamer Mitläufer, obwohl er sich in Wahrheit diese Position ausgesucht hatte, weil er von da aus alles, was auf den Feldern vor sich ging, am besten verfolgen konnte. Er war kein Einzelgänger. Er wartete darauf, dass jemand einen Fehler machte.
Er sah aus, als sei er willens, eine lange Zeit zu warten.
Aber das musste er nicht. Sie hatte den Trick mit dem falschen Namen neulich bei Marshall angewendet, und jetzt war sie hier, wiederholte ihn. Benutze eine Strategie zu oft, und die Leute beginnen Verdacht zu schöpfen.
Sie gab diesem verdammten Schauer die Schuld.
Mr. Brightbuttons – oder wie auch immer er in Wahrheit hieß – grinste sie ebenfalls an.
„Sagen Sie mir“, bat er, „glauben Sie wirklich, dass ich wie Sebastian Malheur bin? Weil ich nämlich gehört habe, er sähe unvorstellbar gut aus.“
Er lächelte sie an, und Jane erkannte, dass sie einen
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