Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
zu.
„Hübsche Emily“, sagte er. „Kluge Emily, süße Emily.“ Er streckte eine Hand aus, nahm ihre aber nicht. Er strich ihr über eine Locke, berührte sie ganz leicht.
„Ich denke“, sagte Emily aufgewühlt, „dass Sie der beste Traum sind, den ich je hatte.“
Er hob fragend eine Braue.
„Mein Vormund denkt, ich würde Nachmittagsschlaf halten“, erklärte sie. „Ich weiß, ich hätte Sie nicht anlügen sollen. Ich versuche … mich zu bessern.“
Er ließ ihre Locke nicht los, aber sie konnte sehen, wie seine Züge sich verspannten, sein Kinn leicht bebte, seine Nasenflügel sich weiteten.
„Ich verstehe“, sagte er.
„Vermutlich nicht. Hübsche Emily. Kluge Emily. Lügnerische Emily. Beinahe mein ganzes Leben ist Täuschung.“
Er schaute ihr in die Augen. „Meines auch. Ich bin Inder. Ich bin der gutmütige Kerl, der, der die Hälfte von dem nicht hört, was vor ihm gesagt wird. Der, der sich nicht beschwert, egal, was ist. Ich nehme an, es sollte mich nicht überraschen, dass Sie letztlich doch Ihren Vormund anlügen. Es gibt nur wenige Eltern in England, die mir erlauben würden, ihrer Tochter den Hof zu machen, egal, wie gut meine Aussichten sind.“
Emily schluckte. „Den Hof machen?“, wiederholte sie. Hof machen, das war ein Ausdruck mit scharfen Kanten und Ecken, den sie nicht ganz verstand. Flirten hätte sie verstanden. Betören. Sie hätte gesagt, dass er ihre Gesellschaft genoss. Aber … Er würde dieses Jahr seinen Abschluss machen und dann gehen. Und ihr Vormund hatte keine Ahnung von alldem hier.
„Wollen Sie nach Ihrem Examen nicht zurück nach Indien?“, fragte sie.
Er schaute sie an. „Nein.“
„Sie werden … eine indische Frau heiraten. Ich hatte …“
„Das ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagte er. „Ich habe einen Freund hier namens Lirington. Sein Vater hat mir eine Anstellung angeboten, wenn ich mein Examen abgelegt habe. Ich bleibe.“
„Hier“, erwiderte sie ausdruckslos. „Hier bei dem gekochten Spinat und Brot. Hier, bei uns Napoleons. Sie bleiben hier? Ich weiß, wie sehr Ihnen Ihre Familie fehlt. Warum tun Sie das?“
Eine lange Zeit sagte er nichts. Schließlich atmete er langsam aus und wandte sich ab. „Mein ältester Bruder“, erklärte er. „Wir standen uns sehr nahe, obwohl ich zehn Jahre jünger war als er. Ich habe ihn verehrt, bin ihm überallhin gefolgt. Er hat mir von seinen Plänen erzählt. Er hatte immer vor, nach England zu gehen. In Indien sah man in ihm nie etwas anderes als einen weiteren Soldaten, einen weiteren Kerl mit brauner Haut. ‚Es gibt hier so viele von uns‘, sagte er, ‚sie sehen uns hier nie als Menschen.‘ Er sagte mir, dass er nach England würde gehen müssen, zu den Engländern in ihre Heimat, wenn sich etwas ändern sollte. Er plante, hierher zu ziehen, wenn er fünfundzwanzig war, um ein Geschäft zu gründen. Um den Rest seines Lebens hier zu verbringen. Sie kennenzulernen und ihnen die Gelegenheit zu geben, ihn kennenzulernen.“
Er hatte leise zu reden begonnen. Als er am Ende angekommen war, sprach er in normaler Lautstärke.
„Ohne das“, sagte er leise, „fürchtete er, dass noch mehr Leben durch Unwissenheit verloren würden. Der Aufstand der Sepoy … Der wurde durch fast schon kriminelle Gedankenlosigkeit verursacht. Ich glaube nicht, dass eine böse Absicht dahinter stand, aber es war dumm. Wenn die Engländer zugehört hätten, hätten sie begriffen, was das bedeutete. So war es für sie einfach Schmierfett. Schweineschmalz und Rindertalg sind einfach Tierprodukte. Sie begriffen nicht, dass sie von den Indern verlangten, gegen ihre heiligste Überzeugung zu verstoßen. Das war die Art Dinge, die Sonjit mir erzählte – dass er Menschenleben retten und der Unwissenheit ein Ende bereiten konnte, wenn er dafür sorgte, dass die Engländer es verstehen.“ Anjan schluckte. „Wie gesagt, ich habe ihn sehr verehrt.“
Emily schaute ihn einfach nur an.
„Während des Sepoy-Aufstandes hat er einen Messerstich in den Bauch bekommen. Es war nicht einmal während einer Schlacht, sondern jemand kam schreiend auf ihn zu gerannt, ein Messer in der Hand. Als er heimgebracht wurde, war es zu spät, irgendetwas zu tun, als ihm beim Sterben zuzusehen. Als ich bei ihm war, sagte er: ‚Es scheint, als würde ich nun doch nicht nach England gehen.‘“ Anjans Stimme war angespannt. „Daher habe ich ihm versprochen, es an seiner Stelle zu tun.“
Sie streckte die Hand aus und berührte
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