Die Erbsünde
Operation verpfuscht hatte, sickerte durch die Wände des Operationssaals wie eine trübe, übel riechende Welle, die immer höher stieg und sie alle zu überschwemmen drohte.
Peter war aufgeregt und ratlos. Der Franzose stand da wie eine Säule, unfähig, sich zu rühren. Die Schwester, die sonst sehr tüchtig war, ließ um ein Haar den Nadelhalter fallen, den sie ihm reichen wollte. Die Hilfsschwestern standen verschreckt da und wagten kaum, aufzusehen. Die Techniker starrten wie versteinert hinter ihrer Maschine hervor.
Alles war verloren. Dieses Kind würde ihm auch auf dem Tisch bleiben.
»Vierzig«, sagte die unerbittliche Stimme des Narkosearztes.
»Zweiundvierzig. Vierundvierzig, Fünfundvierzig … Zweiundvierzig.«
Deon mußte sich halten, um nicht laut loszubrüllen. »Halten Sie den Mund. Ich habe selber Ohren«, herrschte er Tom an.
Wieder entsetztes Schweigen im Saal.
Er verband den Elktrodendraht mit der langen Leitung und reichte das andere Ende dem Narkosearzt. »Anschließen. Schrittmacher auf hundertzwanzig einstellen.«
Die Vorhöfe schlugen noch immer in wahnwitzigem Tempo, als wollten sie die trägen Hauptkammern mitreißen. Nichts geschah. Piep … Piep … Piep … Zu langsam.
»O. K. Tom. Einschalten.«
Vom Monitor kam keine Geräuschveränderung.
»Ist der Schrittmacher in Gang?« fragte Deon erregt.
»Ja«, antwortete Morton-Brown ruhig. Er war der einzige, den das Chaos der letzten Viertelstunde nicht zu erschüttern schien.
»Dann erhöhen Sie.«
»Gut. Eins. Eins-fünf. Zwei. Zwei-fünf.«
Endlich reagierte das Herz auf die elektrischen Impulse des Schrittmachers und sprang abrupt von fünfundvierzig auf hundertzwanzig Schläge in der Minute.
»O. K. Lassen Sie's dabei.«
Deon fühlte, wie die letzten Kraftreserven ihn verließen. Aber mechanisch tat er das Notwendigste: Er ließ die Herz-Lungen-Maschine abstellen, prüfte die Herztätigkeit, ließ wieder und wieder den Druck messen, entfernte die Katheter aus den Venen und der Aorta und schloß die Einschnitte, nähte Kanülen in den Herzbeutel und das Mittelfell. Seine Hände arbeiteten wieder mit der üblichen Präzision, aber er empfand keine Freude.
Der Augenblick, als er über das Kind gebeugt stand und unfähig war, zu entscheiden, wie er sein Leben retten konnte, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt.
Er ließ Peter Moorhead und den Assistenzarzt die Wunde schließen, zog Mantel und Handschuhe aus und trat hinaus auf den Gang. Dort riß er sich die Maske vom Gesicht und warf sie in einen Eimer. Mit schleppenden Schritten ging er ins Arztzimmer. Die Wanduhr zeigte Viertel vor eins. Robby war sicher schon gegangen. Plötzlich erinnerte er sich, daß er um drei Uhr die Verabredung mit Trish hatte. Am liebsten hätte er sie aufgeschoben. Er war wie betäubt. Der Gedanke an weitere Menschen, weitere Gefühle, legte sich ihm schwer auf die Brust.
Er goss sich Kaffee ein. Er war kalt. Ein Teller mit belegten Broten stand auf dem Tisch, aber er hatte keinen Appetit. Er ging zurück in den Operationssaal, um dem Ende der Operation zuzusehen.
Die Oberschwester tauchte in der Tür zu ihrem Büro auf. »Professor!« rief sie.
Er wandte sich ihr mit einem fragenden Stirnrunzeln zu.
»Ich habe mit der Verwaltung gesprochen – wegen der Bürsten«, begann sie.
»Bürsten?« Es dauerte eine Weile, bis ihm einfiel, was sie meinte. »Ach so, ja, die Bürsten!«
»Die sagen, man könne nichts machen.«
»Man könne nichts machen«, echote er mechanisch.
Sie schien verblüfft über seine unerwartet zahme Reaktion. »Sie haben die Sorte bestellt, weil sie die billigste war.«
»Es ist immer dasselbe«, brauste er nun doch auf. »Man sollte meinen, daß die Ärzte dabei auch ein Wörtchen mitzureden hätten.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Professor. Aber ich fürchte, wir werden sie aufbrauchen müssen. Es sind vierzigtausend bestellt worden.«
»Vierzigtau … Das soll doch wohl ein Witz sein!«
Sie sah darin offenbar keinen Grund zur Erheiterung. »Sie sind wirklich scheußlich, aber wir werden sie benutzen müssen.«
»Aber vierzigtausend!« Er brach in wieherndes Gelächter aus. »Vierzigtausend!«
Die Schwester starrte ihn verständnislos an.
»Die reichen ja bis ins nächste Jahrhundert!« Er konnte sich nicht halten vor Lachen. Alles war so traurig, Lachen schien die einzige Rettung zu sein. Lachen ist gesund, dachte er. Hätten wir genug Komiker – die Ärzte könnten bald zumachen.
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