Die Erbsünde
Lache, während alles um dich herum in Trümmer fällt. Lache über Leid und Schmach aller lebenden Kreaturen. Lache über den Tod, und er wird sich davontrollen. Lache über die kleinlichen Vorschriften des Bürokratismus. Läutere die Verderbtheit der Welt im Fegefeuer des Gelächters. Lache, denn Weinen wird dir nichts nützen.
»Also, vielen Dank, Schwester«, sagte er dann. »Ich werde selbst mit der Verwaltung sprechen.«
Peter und der Assistent kamen zusammen aus dem Operationssaal. Bald würde Marietje ins Aufwachzimmer gefahren werden.
Um halb drei verließ er das Krankenhaus. Er war noch eine Weile bei Marietje geblieben, inbrünstig hoffend, daß ihr eigener Schrittmacher sich einschalten würde. Beim Erwachen hatte sie ihn mühsam angelächelt. Ihre Durchblutung war gut, und es kam nur wenig Blut durch die Kanülen. Er schaltete den Schrittmacher mehrere Male aus. Aber es bestand immer noch kompletter Herzblock. Das Kind zuckte jedes Mal zusammen, und er wußte, daß sein Gehirn nach Blut verlangte. Schnell schaltete er den Schrittmacher wieder ein. Marietjes Leben hing jetzt einzig an diesen kleinen Drähten. Er ordnete an, einen zweiten Schrittmacher bereitzuhalten, falls ihrer ausfallen sollte. Und danach konnte er für Marietje im Moment nicht mehr viel tun.
Er stieg ins Auto. Es war heiß wie ein Backofen. Er kurbelte die Fenster herunter, um ein bißchen Luft hereinzulassen. Erschöpft starrte er auf den Zündschlüssel. Sollte er einfach alle Verpflichtungen für heute absagen? Er konnte sich ja doch auf nichts anderes konzentrieren, wenn er sich um einen Patienten Sorgen machte. Am liebsten wäre er an den Strand gefahren, wo niemand ihn erreichen konnte. Oder zum Hafen, wo er zwischen den Güterwaggons umherschlendern konnte, wo die Frachter mit dem fremdländischen Namen am Bug steil vor der Kaimauer aufragten und die Möwen sich kreischend über dem seidiggrünen Wasser um einen Brocken Abfall zankten. Aber es ging nicht.
Mit einem Seufzer ließ er den Motor an und setzte den Wagen zurück aus der Parklücke.
Er fuhr den Jaguar auf den Parkplatz der Medizinischen Fakultät und ging sofort in sein Büro mit den getäfelten Wänden, den Bücherschränken und der afrikanischen Maske eines Medizinmanns unter dem Fenster. An der Wand gegenüber vom Schreibtisch hing ein Porträt von Elizabeth. Es war kurz nach ihrer Hochzeit gemalt worden, und der Künstler hatte ihren kapriziösen Charme gut festgehalten. Den hat sie längst nicht mehr, dachte er. Na ja – nichts dauert ewig.
Er ließ sich schwer in seinen Schreibtischsessel fallen. Seine Sekretärin kam mit der Unterschriftenmappe herein. Als sie sein Gesicht sah, zögerte sie. »Guten Tag, Professor«, sagte sie. »Ist alles gut verlaufen?«
»Tag, Jenny.« Er schnitt eine Grimasse. »Sie hat einen Herzblock entwickelt.«
»Oh, das tut mir aber leid.« Sie sah schüchtern weg. »Soll ich Ihnen eine Tasse Tee machen?« fragte sie freundlich.
»Nein, danke. Hat jemand angerufen?«
»Nur Professor Davids. Sie möchten ihn bitte zurückrufen.«
»Dann verbinden Sie mich bitte mit ihm.«
»Er ist erst um halb sechs Uhr wieder zu erreichen.«
»Gut. Dann ruf ich ihn eben von zu Hause an. Sonst noch was?«
»Ein paar Briefe. Nichts Wichtiges. Das Reisebüro hat das Programm für Ihre Fahrt nach Australien geschickt.«
»Ist das alles?«
»Und um drei Uhr kommt ja Mrs. Sedara.« Sie sah auf die Uhr. »Das ist in einer Viertelstunde.«
»Ja, ich weiß.«
»Das ist alles, Herr Professor.«
»Danke.«
Jenny hatte die Klimaanlage angestellt, aber Deon war es noch immer heiß. Er drehte sie ganz auf. Statt zu arbeiten, spielte er gedankenverloren mit einem grob gehämmerten Messingdolch, den Elizabeth gekauft hatte und den er als Brieföffner benutzte.
Trish. Seit seiner Promovierung hatten sie sich nicht gesehen. Das war eine lange Zeit. Wie sie sich wohl entwickelt hatte? Wußte er überhaupt noch, wie sie aussah? Er erinnerte sich an ihr herrliches, dichtes rotes Haar und an ihren schwingenden Gang. Aber ihre Augen? Waren sie grau oder blau? Ihre Stimme hatte er gestern am Telefon gehört: dunkler als die meisten Frauenstimmen, fast heiser.
Sedara. Was war das für ein Name? Hatte sie am Ende einen Spanier geheiratet? Trish mit ihrem stürmischen Freiheitsdrang!
Entschlossen wandte er sich seiner Arbeit zu.
Jenny klopfte leise an die Tür. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Professor, Mrs. Sedara ist jetzt da. Darf ich sie
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