Die Erbsünde
alte Mann starrte ihn an. Er hielt sich sehr gerade und erinnerte an einen Vogel, einen Spatz vielleicht oder eine Bachstelze. Ein erkennendes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. »Natürlich. Deon. Deon Van der Riet. Na, das ist aber eine Überraschung!«
»Ich war zufällig in der Gegend, da dachte ich …«, begann Deon stockend. Aber zum Glück erwartete der alte Herr keine Erklärungen.
»So treten Sie doch ein, um Himmels willen.« Er trat zur Seite, um Deon einzulassen. »Es ist lange her, seit ich Sie zuletzt gesehen habe. Natürlich habe ich über all die Wundertaten gelesen, die Sie vollbracht haben. Und Patricia hatte so sehr gehofft, daß Sie etwas für – ach, lassen wir das. Es ist traurig, aber so ist das Leben.«
Er führte Deon in ein mit allerlei Krimskrams voll gestopftes Wohnzimmer. Das Haus lag hoch, von den Fenstern aus hatte man einen großartigen Blick aufs Meer. Die Züge des alten Mannes glätteten sich vor Selbstzufriedenheit, als Deon eine diesbezügliche Bemerkung machte.
»Ja, ich habe das Grundstück schon vor fünfzehn Jahren gekauft. Heutzutage hätte ich mir so etwas gar nicht mehr leisten können«, gab er freimütig zu.
»Land wird immer teurer«, bestätigte Deon. Was treibst du bloß hier? fragte er sich verzweifelt. Wie manövrierst du dich hier wieder raus?
Sein Blick fiel auf die Fotografie auf dem Kaminsims. Trish ungefähr in dem Alter, als er sie gekannt hatte. Langes Haar, auf dem Foto noch dunkler als in Wirklichkeit, ein geheimnisvolles, nur angedeutetes Lächeln spielte um ihren Mund. Die Brauen waren spöttischbelustigt hochgezogen. Ein anderes Foto zeigte sie im Profil, nachdenklich am Ufer eines Kanals sitzend, mit Barken und fremdländischen Bauten im Hintergrund.
Schnell sah er wieder weg. »Und Mrs. Coulter, wie geht es ihr?«
Der alte Mann starrte ihn einen Moment lang verständnislos an. Dann rieb er sich mit einer müden Geste über die Schläfen. »Meine Frau ist gestorben«, sagte er, »vor einem Monat.«
»Oh, das tut mir aber leid. Das hatte ich – das wußte ich nicht. Es tut mir sehr leid, das zu hören.«
Und obwohl er nur eine abgedroschene Phrase war, meinte er sie doch aufrichtig. Es schmerzte ihn zu wissen, daß Trish, die schon so viel hatte erdulden müssen, nun eine weitere Last von Gram und Trauer zu tragen hatte.
»Das tut mir leid«, wiederholte Deon. »Ich wollte vorher anrufen, aber …«
Der alte Mann presste die Lippen zusammen und nickte schalkhaft. »So eine Höllenmaschine kommt mir nicht ins Haus«, sagte er selbstgefällig. »All die Jahre war ich ein Sklave dieses Instruments, da hab' ich mir geschworen: Wenn ich im Ruhestand bin, gönn' ich mir ein bißchen Stille.«
Deon lachte. »Ich kann es Ihnen gut nachfühlen. Vielleicht folge ich eines Tages Ihrem Beispiel.«
»Wenn ich etwas brauche, lauf ich zu Fuß. Wo ich hin will, da können meine Beine mich allemal noch hintragen«, fuhr Mr. Coulter fort.
Der Alte ist offenbar ein bißchen verschroben geworden, dachte Deon bei sich. Obwohl man zugeben muß, daß er noch erstaunlich fit wirkt. Der könnte mir sicher noch was vormachen. Um das Thema zu wechseln, sagte er: »Und was für Nachrichten haben Sie von Trish? Patricia, mein' ich.«
»Wieso Nachrichten?« Mißtrauisch und leicht streitlustig fügte er hinzu: »Sie ist mit dem Kleinen an den Strand gegangen«, er sah auf die kleine Standuhr, die inmitten der Fotos auf dem Kaminsims stand, »… vor einer halben Stunde.«
Da war es wieder, das erstickende Gefühl.
»Wie – ist sie denn hier?«
»Ja, natürlich.« Das Misstrauen verflog. »Wußten Sie das denn nicht? Ach so, ja dann – kein Wunder …« Der alte Mann lachte, dann wurde er wieder ernst. »Sie kam, um bei mir zu sein, als Mary – ihre Mutter starb.«
Deon nickte verstehend. »Natürlich.«
»Und Sie wußten nichts davon? Hat sie Sie denn nicht über Giovanni auf dem laufenden gehalten?«
»Nein. Aber ich möchte sie trotzdem gern sehen.«
Ein listiger Blick, der stark an die Tochter erinnerte. »Das wird nicht schwierig sein. Sie geht immer zum Strand am Ende der Ortschaft.«
Und nun, da das, was er suchte, in erreichbarer Nähe lag, verlangte ihn noch danach? Noch war es früh genug, zurückzugehen …
Er fand sie im Sand spielend, hinter einem Gürtel von Treibholz und Tang und dem üblichen Plastikunrat, der die Flutlinie markiert. Trish backte Sandkuchen mit einem umgekehrten Strandeimer, und das Kind machte einen
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