Die Erfuellung
erwiderte der scharf. »Ich habe ihm nicht geschrieben. Wenn ich ihm etwas mitzuteilen hätte, würde ich das persönlich tun. Warum dachten Sie, er wäre von mir?«
Mrs Cadwell schwieg für einen Augenblick. »Es ist mir egal, von wem der Brief war«, brach es schließlich aus ihr heraus. »Ich will ihn nur finden. Er quält sich schon seit Tagen. Edith und er haben sich gestritten. Das ist bei den beiden nichts Ungewöhnliches, aber bis jetzt haben sie sich immer wieder vertragen. Er ist ihr von London gefolgt. Sie muss in der Gegend sein, weil sie in Surfpoint Bay aus dem Bus gestiegen ist. Mrs Weir hat sie gesehen und mit ihr gesprochen. Es gibt also keinen Zweifel.«
»Mrs Cadwell«, erwiderte Ralph Batley mit tiefer Stimme, »glauben Sie mir, ich bin Bruce nicht begegnet. Sie können sich darauf verlassen, es ist die Wahrheit.«
Mrs Cadwell ließ den Kopf hängen. »Nun gut.« Langsam sah sie auf und blickte Mrs Batley an. Ihre Stimme klang traurig und verloren. »Entschuldige die Störung, Maggie, ich gehe jetzt wieder. Sie suchen immer noch, aber ich fürchte das Schlimmste.«
»Ich weiß, Beatrice«, sagte Mrs Batleys leise und mitfühlend. »Versuch, dir keine allzu großen Sorgen zu machen. Du wirst ihn bestimmt finden. Wahrscheinlich läuft er nur durch die Gegend.«
Ralph Batley führte die Besucherin hinaus. Wieder öffnete und schloss sich die Vordertür. Linda hatte gedacht, Mrs Batley würde ihn mit Fragen bombardieren, als er zurückkam, aber sie hatte sich getäuscht. Offenbar war ihr Mitgefühl für ihren Sohn so stark, dass sie um seinetwegen ihre eigenen Empfindungen zurückstellte. Sie saß für eine kurze Weile still in ihrem Sessel. Dann richtete sie das Wort an Michael.
»Holst du bitte Holz, Michael? Das Feuer ist ziemlich heruntergebrannt.«
»Ja, Großmama.«
Als Michael widerwillig das Zimmer verließ, schickte Linda sich an, ihm zu folgen, aber Mrs Batley hielt sie zurück. »Bleiben Sie.« Sie sprach erst weiter, als sich die Küchentür hinter dem Jungen geschlossen hatte. »Ich bin mir sicher, dass Sie alles über die Sache wissen. Ihr Gesicht ist zu offen und ehrlich, als dass Sie finstere Geheimnisse für sich behalten könnten.« Dann wandte sie sich ab und blickte in das starre, düstere Gesicht ihres Sohnes. »Also?«
»Ich habe Bruce Cadwell nicht gesehen.«
»Das glaube ich dir, aber was ist mit ihr?«
Linda brachte es nicht über sich, ihn anzusehen.
»Quäl dich nicht, Maggie, das hat er dir doch schon gesagt«, mischte sich Shane ein.
»Er hat meine Frage nicht beantwortet, Shane. Ralph, sieh mich an.«
Ralph blickte seiner Mutter ins Gesicht. Linda drehte es das Herz um, als er antwortete: »Ich habe sie nicht gesehen, Mutter.«
Mutter und Sohn starrten einander an, bis Mrs Batley schließlich auf ihre Hände blickte. Ralph Batley wandte sich abrupt ab und ging aus der Halle.
Als die Außentür mit einem Knall ins Schloss fiel, wandte sich Mrs Batley an Shane. »Ich glaube ihm nicht, Shane, und du wirst mir auch nicht die Wahrheit sagen, stimmt’s?«
»Aber, Maggie!«
»Schon gut, kein Wort mehr. Versündige dich nicht.«
»Ach, Maggie.« Shane fiel nichts mehr ein. Wortlos humpelte er davon. Linda blieb allein mit Mrs Batley zurück, die auf ihre Hände starrte, als stünde in ihnen geschrieben, warum solcher Kummer über das Haus kommen musste.
Schon wollte sie nach dem beladenen Tablett greifen und in die Küche gehen, da sprach Mrs Batley. »Warum sind Männer solche Dummköpfe?« Linda sah sie überrascht an. Mrs Batley hob den Kopf. »Das können Sie nicht wissen, noch nicht, aber sie sind Dummköpfe. Kommen Sie zu mir, Kind.«
Als Linda vor ihr stand, schüttelte Mrs Batley langsam den Kopf. »Und dabei sind Sie so hübsch.«
»Ach, Mrs Batley.« Es fiel Linda schwer, die Fassung zu bewahren.
»Sie sind wirklich ein hübsches Mädchen, aber vor allem haben Sie ein gutes Herz.« Die geschundenen, knochigen Finger, die nach Lindas Händen griffen, waren unerwartet kräftig. »Schönheit ohne Güte ist wertlos.« Sanft tätschelte sie Linda die Hand. »Regen Sie sich nicht auf, es wird alles kommen, wie es kommen muss.«
Linda stellte das Tablett auf den Küchentisch und schloss für einen Augenblick die Augen, während sie sich Mrs Batleys Worte ins Gedächtnis rief. Wie sollte sie sich nicht aufregen! Selbst wenn sie keinerlei Gefühle für ihren Chef gehegt hätte, hätte sie sich der emotionsgeladenen Spannung im Haus nicht entziehen
Weitere Kostenlose Bücher