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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sagte sie:
    »Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
    Sie hatte sich gesetzt, betrachtete das Zimmer, das schmale Bett, die armselige Kommode, die große Christusfigur aus schwarzem Holz, deren jähes Erscheinen auf der kahlen Wand sie kurz erschauern ließ. Ein eisiger Frieden sank von der Decke herab. Der Feuerrost des Kamins war leer, ohne eine Messerspitze Asche.
    »Sie werden sich erkälten«, sagte der Priester mit besänftigter Stimme. »Ich bitte Sie, gehen wir hinunter.«
    »Nein, ich habe mit Ihnen zu sprechen«, sagte sie abermals. Und mit gefalteten Händen, wie eine bußfertige Sünderin, die beichtet, fuhr sie fort: »Ich verdanke Ihnen viel … Bevor Sie kamen, war ich ohne Seele. Sie haben mein Heil gewollt. Durch Sie habe ich die einzigen Freuden meines Daseins kennengelernt. Sie sind mein Erlöser und Vater. Seit fünf Jahren lebe ich nur durch Sie und für Sie.« Ihr brach die Stimme, sie glitt auf die Knie.
    Er hielt sie mit einer Handbewegung auf.
    »Nun wohl!« rief sie. »Heute leide ich, ich brauche Ihre Hilfe … Hören Sie mich an, mein Vater. Ziehen Sie sich nicht von mir zurück. Sie können mich nicht so im Stich lassen … Ich sage Ihnen, daß Gott mich nicht mehr hört. Ich fühle ihn nicht mehr … Haben Sie Erbarmen, ich bitte Sie. Raten Sie mir, führen Sie mich zu jenen göttlichen Gnaden, deren erste Glückseligkeit Sie mich haben erkennen lassen; lehren Sie mich, was ich tun soll, um zu genesen, um immer weiter in die Liebe Gottes, einzudringen.«
    »Man muß beten«, sagte der Priester ernst.
    »Ich habe gebetet, ich habe stundenlang gebetet, den Kopf zwischen den Händen, und danach gestrebt, auf dem Grunde jedes. Wortes der Anbetung ins Nichts zu versinken, und ich bin nicht erleichtert worden, und ich habe Gott nicht gespürt.«
    »Man muß beten, noch mehr beten, immer wieder beten, beten, bis Gott gerührt ist und in Sie herabsteigt.«
    Sie sah ihn ängstlich an.
    »Es gibt also nur das Gebet?« fragte sie. »Sie können nichts für mich tun?«
    »Nein, nichts«, erklärte er rauh.
    Mit zorngeschwelltem Busen erhob sie in einer verzweifelten Aufwallung ihre zitternden Hände. Aber sie nahm sich zusammen, sie stammelte:
    »Ihr Himmel ist verschlossen. Sie haben mich bis dorthin geführt, damit ich gegen die Mauer stoße … Ich lebte sehr ruhig, Sie entsinnen sich, als Sie gekommen sind. Ich lebte in meinem Winkel ohne Verlangen, ohne Wißbegier. Und Sie haben mich mit Worten erweckt, die mir das Herz umkehrten. Sie haben mich in eine zweite Jugend eingehen lassen … Ach! Sie wissen nicht, welche Wonnen Sie mir im Anfang verschafften! Es war eine Wärme in mir, eine milde Wärme, die bis ins Innerste meines Wesens ging. Ich hörte mein Herz. Ich hatte eine unermeßliche Hoffnung. Mit vierzig Jahren schien mir das zuweilen lächerlich, und ich lächelte; dann verzieh ich mir, so glücklich fühlte ich mich … Aber nun will ich den Rest der verheißenen Glückseligkeit. Das kann nicht alles sein. Es gibt noch etwas anderes, nicht wahr? Begreifen Sie doch, daß ich dieses stets wachen Verlangens überdrüssig bin, daß mich dieses Verlangen verbrannt hat, daß mich dieses Verlangen in den Tod bringt. Jetzt, da ich nicht mehr gesund bin, muß ich mich beeilen; ich will mich nicht anführen lassen … Es gibt noch etwas anderes, sagen Sie mir, daß es noch etwas anderes gibt.«
    Abbé Faujas blieb unempfindlich, ließ diese Woge glühender Worte vorüberströmen.
    »Es gibt nichts, es gibt nichts!« fuhr sie aufbrausend fort. »Sie haben mich also betrogen … Unten auf der Terrasse haben Sie mir an jenen sternenerfüllten Abenden den Himmel verheißen. Ich bin darauf eingegangen. Ich habe mich verkauft, ich habe mich preisgegeben. Ich war von Sinnen in jenen ersten Liebkosungen des Gebets … Heute gilt der Handel nicht mehr; ich möchte wieder in meinen Winkel heimkehren, möchte mein ruhiges Leben wiederfinden. Ich werde alle vor die Tür setzen, werde das Haus in Ordnung bringen, auf meinem gewohnten Platz auf der Terrasse die Wäsche ausbessern … Jawohl, ich liebte es, die Wäsche auszubessern. Die Näherei überanstrengte mich nicht … Und ich will, daß Désirée auf ihrem Bänkchen neben mir sitzt; sie lachte, sie machte Puppen, die liebe Einfalt …« Sie brach in Schluchzen aus. »Ich will meine Kinder! – Sie waren˜s, die mich beschützten. Als sie nicht mehr da waren, habe ich den Kopf verloren. Ich habe begonnen, ein schlechtes Leben zu führen … Warum haben Sie

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