Die Eule von Askir
ins Regal. Er zog ein anderes heraus und schlug es in der Mitte auf.
… also folgt, dass, wenn ein Stein von einem Turm fällt, er schneller fällt als ein anderer, den man aus seiner Hand zu Boden fallen lässt, weil der Stein vom Turm mehr Zeit zum Fallen hat…
Santer stöhnte und klappte das Buch zu.
Plötzlich spürte er, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Langsam, noch immer mit dem Buch in der Hand, drehte er sich um und sah sich dem Maestro gegenüber. Dem, der ihn in der Nacht zuvor erschreckt hatte. Dem Maestro, dessen Bild unten in der Halle hing.
Balthasar, der letzte Primus der Eulen.
Er schien so solide wie alles andere in diesem Raum, und doch war er es nicht. Die Sonne stand bereits tiefer am Himmel und warf Schatten durch das Fenster an das Regal, vor dem Santer stand. Nur ein Schatten zeichnete sich dort ab, einer, der ein Buch in den Händen hielt.
Ein anderer Hinweis auf die Natur seines Besuchers war offensichtlicher: Die Eule stand mit einem Fuß in dem Sessel, aus dem Santer gerade aufgestanden war.
Der schmale Mund des Geists verzog sich zu einem amüsierten Lächeln, als er auf das Buch in Santers Händen herabsah.
Santer seufzte und stellte das Buch in das Regal zurück. »Solltet Ihr nicht in der Nacht wandeln, Maestro?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.
Allein der Gedanke, dass es so etwas wie Geister gab, dass es solche gab, die den Weg zu Soltars Tor nicht fanden, ließ dem Stabsleutnant das Blut in den Adern gerinnen. Aber das war noch lange kein Grund, seinem Besucher zu offenbaren, wie sehr er ihn ängstigte.
Der Geist tat nichts Bedrohliches, er trat nur durch die geschlossene Tür zurück in die Halle, wie schon in der Nacht zuvor.
Doch als Santer diesmal hastig die Tür aufriss, sah er den Geist, wie er die Treppe hinabging. Santer eilte ihm nach, folgte ihm hinab ins Erdgeschoss des Turms, wo der Geist in der Wand verschwand, die hinter der Wendeltreppe die Halle abschloss.
»Und nun?«, fragte Santer laut. »Könnt Ihr mir verraten, wie ich durch diese Wand gehen soll? Ich bin kein Geist.«
Mit einem leisen Klicken sprang einer der Steine in der Wand hervor. Santer sah sich misstrauisch um und wartete, ob der geisterhafte Maestro wieder erscheinen wurde, doch es blieb alles still. Vorsichtig trat er an die Wand heran und öffnete den Stein weiter, der sich als eine dünne Klappe entpuppte. Dahinter fand er in einer Vertiefung einen silbernen Knauf in die Wand eingelassen.
In dem Moment, in dem er das Silber berührte, knirschte es in der Wand, Staub rieselte herab, und eine im Mauerwerk verborgene Tür schwang auf. Sie gab den Blick frei auf einen kleinen Vorraum mit einer weiteren Tür aus massivem Stahl und mit schweren Riegeln.
Ein Tisch stand in dem Vorraum, mit einem bequemen Stuhl dabei sowie ein kleines Regal aus schwerem Eichenholz mit Schubladen. Ein ausgetrocknetes Tintenfass, Feder und Streusand sowie ein dickes Buch lagen auf dem Tisch.
Neben der Tür war ein dunkler Quader aus poliertem Quarz in die Wand gesetzt, darunter ein Räderwerk mit goldenen Skalen und kleinen Hebeln.
Ein kleines Fenster aus dickem, überraschend klarem Glas war in diese andere Tür eingelassen. Santer trat neugierig an das Fenster heran. Acht kleine leuchtende Steine in der Decke spendeten genügend Licht, um ihm einen leeren, achteckigen Raum zu zeigen. Der Boden bestand aus dunklem, poliertem Marmor, darin konzentrisch in den Boden eingelassen ein großes Acht- und ein Zwölfeck aus fingerbreitem Gold. In den Ecken erweiterte sich dieses goldene Band zu handtellergroßen Flächen, in denen Vertiefungen zu erkennen waren. Im Zentrum des Raums befanden sich vier weitere in Gold gefasste Vertiefungen, eine in der Mitte, drei andere im Dreieck um dieses Zentrum herum angeordnet.
Mehr war nicht zu erkennen.
Santer fluchte leise, sah sich in ein letztes Mal in dem kleinen Vorraum um, zuckte die Schultern und verließ ihn wieder. Er sah kopfschüttelnd zu, wie sich die Wand hinter ihm schloss. Götter, was waren diese Eulen nur für Geheimniskrämer! Warum konnten sie nicht einfach eine normale Tür in die Wand setzen?
»Warum müsst ihr nur alles verstecken, könnt ihr mir das mal verraten?«, rief Santer empört in die Halle hinein. »Magische Schlösser, die einem das Blut aussaugen, Throne zum Scheißen, wo selbst ein König nicht mehr als ein Loch im Boden braucht, und dicke Bücher über Dinge, über die selbst ein Kind Bescheid weiß!« Er warf
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