Die Ewigen
konnte ich problemlos zugeben, dass mir der Gedanke an Josephs Leiche in der düsteren Kapelle der Burg unangenehm war, dass ich mich für seinen Tod verantwortlich fühlte, dass ich mir sogar sicher war, an seinem Tod schuld zu sein. Da konnte Andreas sagen, was er wollte: Wäre ich nicht in die Schwertkirche gegangen, wäre ich nicht nach Rom gefahren, wäre ich ... egal was - hätte ich nur eine Kleinigkeit, eine Winzigkeit anders gemacht, Joseph würde noch leben. Kein Mensch darf akzeptieren, dass ein anderer für ihn sein Leben lässt, dachte ich, als Jackson mir meine unausweichlichen Tränen aus dem Gesicht küsste: Niemand ist das Leben eines anderen wert, niemals darf das eine Leben wertvoller sein als das andere. Ich erzählte Jackson den ganzen Traum mit allen Details, sprach von meiner Verantwortung, meiner Schuld - seine Hände auf meinem Rücken waren tröstend und warm, auch wenn er meine Sichtweise nicht teilte. Das ist unsere Aufgabe, sagte er ruhig und ohne einen Funken Zweifel in der Stimme, wir sind hier, um dein Leben zu schützen - mit unserem eigenen, wenn es sein muss. Dass Joseph nicht in einem heroischen Kampf gefallen, sondern feige auf offener Straße erschossen worden war, betrachtete Jackson ebenfalls nicht als Grund, die Sinnfrage zu stellen: Das mache Drakes Tat zu einem besonders verachtenswerten Verbrechen, nicht aber die Bestimmung der Ordensritter hinfällig, flüsterte er, während ich mit meiner zugeschnürten Kehle kämpfte. Ich gab es auf, mit ihm Streiten zu wollen - einerseits, weil ich nicht wirklich konnte und inmitten meiner geflüsterten Sätze immer wieder wegdämmerte, zum anderen, weil ich merkte, dass ich nur in begrenztem Maß über Joseph, Tod und Schmerz reden konnte, ohne wieder unvermittelt loszuzittern. Jacksons Prävention vor weiteren Zusammenbrüchen meinerseits schien ein baldiger Aufbruch zu sein - weit weg von Schwert, Dolch und Tod. Doch ich bremste ihn schweren Herzens, während ich mich an seiner Schulter für ein paar Stunden erholsamen Schlafes einrichtete: Erst Davide, flüsterte ich schlaftrunken - diese Schuld müssen wir einlösen, sonst haben wir versagt.
Jackson wurde gegen fünf Uhr morgens in seiner Funktion als Akku von Andreas abgelöst und verbrachte den Rest der Nacht auf der Chaiselongue. Andreas saß sehr aufrecht neben meinem Bett auf einem Stuhl, doch ich bekam von seiner Anwesenheit kaum etwas mit, da ich tief und traumlos schlief, bis er meine Hand losließ und mit leichtem Scharren des Stuhls auf dem Boden für den nächsten Freiwilligen Platz machte. Der hockte sich auf die Kante meines Bettes, ich hatte die Augen geschlossen, dämmerte gerade wieder weg, und als ein kräftiger Wasserfall mich in Gedanken in eine kühle, frische Gischt hüllte, dachte ich, Josie sei wieder da - die alte Josie, ohne die Drake-Mauer.
"Übertreib bloß nicht wieder so", flüsterte ich schlaftrunken im Bezug auf die Handschuh-Bestellung, "zwei oder drei Paar reichen."
"Was meinst du?", fragte eine männliche Stimme leise zurück, ich riss die Augen auf und erkannte eine schmale Silhouette mit etwas zu langen Ponyfransen.
"Shane?"
"Ja. Hab ich dich geweckt? Das tut mir Leid."
Er stand langsam auf, als böte er mir an, wieder zu gehen. Ich rappelte mich ein wenig auf, schüttelte den Kopf - verwirrt darüber, dass ich ihn und Josie hatte verwechseln können, wo doch jeder so ganz anders, so ganz eigen war.
"Nein, ich hab eh nicht mehr richtig geschlafen."
Ich sah auf seine Hand, dann auf sein hübsches Gesicht in der blassen Morgendämmerung.
"Ich dachte nur, es sei Josie. Deine Hand ..."
Er hob den fraglichen Körperteil und warf mir einen fragenden Blick zu.
"Was war da?"
"Setz dich noch mal und gib sie mir, das war zu kurz", bat ich. "Wenn du willst."
Er ließ sich zögernd auf der Matratze nieder und legte seine Hand mit der Handfläche nach oben auf meine Bettdecke, als würde ich seine Lebenslinie studieren wollen. Hinter ihm drehte Jackson sich mit einem unverständlichen Murmeln auf dem Sofa im Schlaf auf die andere Seite, und während Shane zu ihm hinüber sah, begriff ich erstaunt, was ich da in seiner Hand fühlte. In der Nacht, in der ich Shanes Hand das erste Mal gehalten hatte, hatte ich zuerst gedacht, er sei ein See. Dann hatte ich den Damm entdeckt und ihn für einen gestauten Fluss gehalten - jetzt wurde mir klar, dass auch das nicht stimmte, denn in das riesige Becken mit seinem hohen Staudamm und seinem stillen Wasser
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