Die Fäden des Schicksals
so ein Pech! Das Zeug können Sie vergessen«, sagte er nach einem Blick in den Kühlschrank. »Durch den Rohrbruch gab es im Kühlschrank wohl einen Kurzschluss. Na, wenigstens haben Sie überall sonst noch Strom. Aber besonders gut riechen tut das hier jedenfalls nicht.«
»Nein, wahrhaftig nicht«, stimmte ich ihm leise zu.
»Ach was, Lady, Kopf hoch! So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Sie werden doch wohl nicht weinen, oder?« Ich schüttelte schweigend den Kopf, was der Klempner mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. Nachdenklich zupfte er an seiner Nase.
»Ich habe einen Freund, der ist Elektriker. Wenn Sie wollen, rufe ich ihn an. Normalerweise hat er immer viel zu tun, aber wenn ich ihn darum bitte, kommt er bestimmt sofort. Er ist mir nämlich noch einen Gefallen schuldig. Soll ich ihn mal fragen?«
»Würden Sie das tun?« Ich schluckte schwer und griff nach meiner Handtasche. »Tut mir leid wegen der Sahne, aber Sie und Ihr Freund können sich gern Kaffee nehmen.«
»Ja klar, aber …« Er blickte mir argwöhnisch nach, als ich zur Treppe ging. »Wo wollen Sie denn hin, Lady?«
»Ich gehe essen. Ich brauche ein paar scharfe Chicken Wings und ein Dr. Pepper. Und zwar auf der Stelle.«
6
Evelyn Dixon
Der Kellner blickte mich abschätzig an. Er war ein großer gut aussehender Mann etwa meines Alters mit grauem Haar, blauen Augen und einem Akzent, bei denen man an die grünen Hügel Irlands denken musste.
»Madam«, sprach er, »ich mag zwar Ire sein, dennoch ist das hier ein gehobenes Restaurant und keine Kneipe. Und deshalb servieren wir hier auch keine Kneipengerichte. Ich kann Ihnen ein vorzügliches Entenconfit empfehlen, nach dessen Genuss die Restaurantkritikerin des Globe kürzlich den Kopf auf den Tisch legte und vor Freude weinte, doch Chicken Wings werden Sie nie und nimmer auf der Speisekarte des Grills am Anger finden. Außerdem gibt es im Umkreis von achthundert Kilometern kein Restaurant, das Dr. Pepper führt. Wir sind hier in Neuengland und nicht in Texas.«
Ein kaum wahrnehmbares Funkeln in seinen Augen ließ vermuten, dass er mich auf den Arm nahm. Doch da ich mir nicht sicher war, bestellte ich brav ein Ginger Ale und die Ente, ohne ein weiteres Wort über die Chicken Wings zu verlieren.
»Sie sind also der Inhaber?«, fragte ich, während er meine Bestellung notierte. »Bei meinem ersten Besuch in New Bern habe ich Sie gesehen, wie Sie den Gästen Tische zuwiesen.«
»Ja, das bin ich. Und heute fungiere ich außerdem als Kellner, da sich eine meiner Angestellten krankgemeldet hat. Ansonsten bin ich Oberkellner, Chefkoch, oberster Tellerwäscher, Barkeeper und Rausschmeißer – alles in einer Person. So ist das eben, wenn man selbstständig ist; da muss man im Notfall einspringen und Mädchen für alles spielen – und das auch noch möglichst gut.«
»Ja. So langsam komme ich auch dahinter. Mein Name ist Evelyn Dixon«, sagte ich lächelnd. »Ich habe das alte Fielding-Drugstore-Gebäude am Cobbled Court gemietet.«
Er machte große Augen und wollte gerade etwas sagen, als er plötzlich zusammenzuckte und sich rasch umdrehte – genau in dem Moment, als einer seiner Angestellten fast das Tablett fallen gelassen hätte. Es schien, als hätte der Chef Augen im Hinterkopf. »Um Himmels willen, Jason, pass doch auf!«, rief er und bekam gerade noch eine Ecke des Tabletts zu fassen, bevor es mitsamt zweier Vorspeisen auf dem Boden landete.
»Tut mir leid, Charlie«, sagte der junge Kellner. »Es ist mir weggerutscht. Ich werde mich in Zukunft vorsehen.«
»Aber ganz gewiss«, entgegnete sein Arbeitgeber mit drohendem Unterton, bevor er seinen Blick auf das Tablett richtete. »Ist das die Bestellung für Tisch vierundzwanzig? Der Lachs für Mrs Wynne?« Der Kellner nickte. »Bring es zurück! So kannst du das auf keinen Fall servieren. Abigail mag ihren Lachs gut durch und außen angeschmort. Schwarz verkohlt! Das habe ich dir doch schon tausendmal erklärt.«
»Ich weiß«, nickte Jason ernsthaft. »Ich habe Maurice gesagt, dass der Lachs für Mrs Wynne ist und wie sie ihn gern hätte. Aber er hat sich geweigert. Stattdessen warf er einen Pfannenwender nach mir und brüllte, es wäre eine Schande, das Gericht so zu verhunzen.«
Charlie rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Das ist ja schön und gut, aber Abigail Burgess Wynne ist nun mal der Gast, und ein guter noch dazu. Also wird Maurice wohl über seinen Schatten springen und den Lachs so braten müssen, wie
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