Die Falken Gottes
Magnus.
Der Separatfrieden war im März dieses Jahres zwischen Bayern auf der einen sowie Frankreich und Schweden auf der anderen Seite vereinbart worden. Nicht jedem hatte dieser Frieden geschmeckt, und so hatte der bayerische Armeeführer, der ein ebenso geschäftstüchtiger Kriegsgewinnler wie der schwedische Oberbefehlshaber war, einen Aufstand angezettelt und war zum deutschen Kaiser übergelaufen. Diese Meuterei hatte den bayerischen Kurfürsten Maximilian aufgeschreckt, und es war zu erwarten, daß er den Frieden aufkündigen würde, wenn Schweden oder Frankreich mit überzogenen finanziellen Forderungen an ihn herantraten.
»Zwölftausend Taler«, sagte Oxenstierna. Es klang, als würde er sich diese Summe auf der Zunge zergehen lassen. »Im Grunde ist es ohnehin eine Dummheit, unseren protestantischen Bundesgenossen eine solche Bürde aufzuerlegen. Sollen die Bayern zahlen. Sie haben sich diesen Frieden herbeigewünscht.«
Nun sprachen die beiden leiser miteinander, und Magnus schnappte nur noch einzelne Wortfetzen auf. Ihm fiel das Atmen zunehmend schwerer. Er wagte kaum Luft zu holen, denn der Gestank drohte ihn zu einem Husten zu zwingen.
|67| Dann endlich vernahm er, daß Oxenstierna und Sonnert den Raum verließen. Er hörte die Tür zufallen und klappte den Deckel auf. Gierig schnappte er nach Luft und kletterte aus der Truhe.
Er überlegte, ob er einen zweiten Versuch unternehmen sollte, die Chiffre zu kopieren, entschied sich aber dagegen, denn die unerwartete Störung hatte ihn viel Zeit gekostet, und sein allzu langes Fernbleiben von Oxenstiernas Tafel würde schon bald Mißtrauen erregen.
Magnus war dennoch nicht unzufrieden mit dem, was er so unerwartet erfahren hatte. Seinen Onkel Salvius würden diese Informationen gewiß interessieren.
Magnus lauschte an der Tür, ob sich noch jemand auf dem Korridor aufhielt, dann verließ er unverzüglich das Zimmer. Er hatte noch keine fünf Schritte zurückgelegt, als er auf dem Korridor der blonden Magd über den Weg lief, die ihn vorhin so neugierig beäugt hatte. Magnus schlüpfte erneut in die Rolle des Betrunkenen und fragte mit schwankender Stimme: »Der Abtritt – wo finde ich diesen vermaledeiten Abtritt?«
»Ihr lauft in die falsche Richtung, Herr Ohlin«, sagte die Magd, die zum Treppenabsatz wies. »Geht nach unten! Dort findet Ihr neben der Küche die Tür zum Hof.«
Erst jetzt, als er die Frau aus der Nähe betrachtete, fiel Magnus eine kleine Narbe unter ihrem linken Auge auf. Sie war auch nicht so jung, wie er sie zunächst eingeschätzt hatte, sondern mochte in seinem Alter sein.
»Ich danke dir.« Er hoffte, daß sie nicht gesehen hatte, daß er sich in Sonnerts Arbeitszimmer aufgehalten hatte.
Magnus wollte gehen, doch dann stutzte er und fragte sie: »Woher kennst du meinen Namen?«
»Jemand an der Tafel hat ihn erwähnt«, entgegnete die Magd und trat an ihm vorbei.
Magnus stieg die Treppenstufen hinab und lief über den |68| Hof zum Abtritt. Dort an der Tür des Bretterverschlages hielt er inne und schaute zum Haus. Hinter einer der Butzenscheiben machte er eine Bewegung aus. Jemand beobachtete ihn, und er vermutete, daß es sich um die neugierige Magd handelte. Nicht zuletzt deshalb, weil er davon überzeugt war, daß sein Name kein einziges Mal während der Unterredung an der Tafel gefallen war.
|69| Kapitel 6
Als Magnus die Residenz des Grafen Oxenstierna verließ und sich zurück in die Lohstraße begab, schlug die Turmuhr bereits zur fünften Nachmittagsstunde. Mittlerweile taumelte er auffällig, denn ihm war inzwischen doch arg schwindelig von den ungezählten Bechern Wein, die er an der Tafel des Grafen gezecht hatte. Eine Zeitlang hatten die Bittermandeln verhindert, daß der Alkohol seine Sinne betäubte, doch nachdem sein Becher immer rascher gefüllt und zu späterer Stunde auch noch einige Gläser Aquavit eingeschenkt worden waren, hatte sich irgendwann jede Maßnahme, bei klarem Verstand zu bleiben, als hinfällig erwiesen.
Magnus klammerte sich an einen Baumstamm und erbrach sich, nachdem er nur wenige Schritte gelaufen war. Alles in seinem Kopf drehte sich wie ein Kreisel. In seinem Hals brannte es sauer. Er wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab und stolperte weiter.
Nun ließ er die Domsfreiheit hinter sich und steuerte auf eine Säule zu, auf der ein seltsames Fabeltier thronte. Er hatte sich schon oft gefragt, welche Bedeutung hinter diesem steinernen Abbild eines Hundes mit einem Löwenkopf
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