Die falsche Frau
stolz.
34
O BWOHL S CHNEEREGEN auf die Scheiben prasselte und die Straßen spiegelglatt waren, schoss François mit hundert Stundenkilometern über die Allee. Er kannte das Clubhaus, nach vier bis fünf Kilometern würde er da sein.
François stieg auf die Bremse und hätte fast die Abzweigung verpasst. In letzter Sekunde bog er ab und steuerte den Wagen über eine holprige Straße, die mitten durch den Wald führte. Er musste das Tempo drosseln. Überall Schmelzwasser. Überall Hüllen aus Eis, die immer dünner, zerbrechlicher und durchsichtiger wurden.
Warum, Claire?, dachte er. Nicht ein einziges Mal war ihm aufgefallen, dass sie mit Katzan geflirtet hatte. Im Gegenteil, sie hatte ihn akzeptiert, weil sie genau wusste, was ihm diese Freundschaft bedeutete.
Er muss sie gezwungen haben, anders konnte er sich ihren Tod nicht erklären.
Der Gedanke versetzte ihn in Panik.
Er sah Claire eingeschlossen in diesem Haus.
Claire, geschlagen und gefesselt am Boden. Claire, unfähig zur Bewegung und bis zum Rand voll mit Tabletten.
Der Strick, dachte er. Verdammt, wo ist der Strick? Warum hatte er nicht jeden Winkel durchsucht? Warum nicht in Garten und Keller nachgesehen?
Nie hatte er an diese Kälte geglaubt, nie diese Brutalität vermutet, nicht unter Freunden. Er sah ein, dass er sich geirrt hatte, dass dieser Riss in seinem Inneren, den er jetzt spürte, eine kalte Realität war, mit der sogar Verzweiflung und Trauer von ihm abfielen.
Worum sollte er noch kämpfen? Wofür sich rächen?
Der kurvenreiche Weg, der anstieg und abfiel, hatte etwas Berauschendes. Das Prasseln auf der Scheibe wurde stärker.
François stellte die Scheibenwischer auf die schnellste Geschwindigkeit. Sie tuckerten in einem nervtötenden Rhythmus über die Windschutzscheibe und erzeugten zwei trübe Schmierflächen. François beugte sich vor und sah durch die einzig freie Stelle nach draußen. Innerhalb von Sekunden hatte sich der Weg in eine sumpfige Fläche verwandelt, in der das Scheinwerferlicht aussah, als ob es zitterte. François suchte zwischen spindeldürren Ahornbäumen nach einem anderen Weg, aber überall nur Schlamm, der die Bodenmarkierungen verwischte.
Einen Moment lang grübelte er darüber nach, ob er sich die Liebe zu Claire nur eingeredet hatte. Vielleicht war Claire die Mauer, die sich zwischen ihn und Katzan geschoben hatte. Am Ende war Claire an allem schuld!
Doch als sein Wagen von einem kräftigen Windstoß hin und her gerüttelt wurde und er bremsen musste, schob er den Gedanken wieder beiseite.
François sah in eine riesengroße, schwarzglänzende Pfütze. Er legte den ersten Gang ein und drückte Kupplung und Gas. Zuerst drehten die Vorderräder durch, doch plötzlich machte das Auto einen Ruck, und er kam wieder voran.
François sah, dass der steile Weg, auf dem er sich schlingernd nach oben bewegte, vor Nässe glänzte. Oben angekommen hatte er freie Sicht auf ein Häuschen, davor ein kleiner Parkplatz, Holzzaun und zwei Bänke.
Der Platz war wie ausgestorben.
Dort drüben bei den kahlen Maulbeerbäumen, dort auf der Böschung, war der andere Wagen, ein heller Volvo. Zweimal hörte er den fremden Motor aufheulen. Die Räder waren am Durchdrehen und steckten im Schlamm fest.
François drosselte das Tempo. Die Tachonadel zitterte.
Langsam fuhr er auf die Böschung zu. Zweiter Gang. Kurz vor dem Ziel stellte François den Motor ab, ließ die Scheinwerfer an und öffnete die Tür.
Ein paar Krähen stoben auf. Unter seinen Füßen blubberte der Matsch, auf dem sich braune Bläschen gebildet hatten. François hob den Kopf und sah zwei Männer in dem Wagen sitzen.
Nach ein paar Metern erkannte er, dass der eine davon Katzan war. Er richtete seine Waffe auf den Taxifahrer und brüllte. »Weiter. Weiter, Mann!«, aber der Wagen saß fest.
Wahrscheinlich war er voll Karacho die Böschung hochgefahren und kam nun nicht mehr von der Stelle.
»Raus! Schieben!«, schrie Katzan, aber der Mann blieb sitzen und versuchte immer noch Gas zu geben.
»He!«
Katzan musste ihn längst bemerkt haben. Er versuchte den Mann nach draußen zu bugsieren.
Plötzlich schwenkte Katzan um, stürzte aus dem Wagen und zielte nicht mehr auf den Taxifahrer, sondern auf François.
Ein Schuss fiel. Der Taxifahrer flüchtete und rannte Richtung Clubhaus.
»Stehen bleiben!«, schrie Katzan, der nur in die Luft gefeuert hatte.
François hörte nicht. Ein paar Schritte über den rutschigen Waldboden und seine Augen verloren sich
Weitere Kostenlose Bücher