Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Selbstvergewisserung.
Hat der Mann denn nur studiert? Hat er auch gelebt?
Maria Jänicke ist mit Peter Brandt von 1967 bis 1976 liiert. Sie begleitet ihn durch das »Rote Jahrzehnt«. In den zeitgenössischen Presseberichten wird sie bisweilen als »Hanoi Mary« bezeichnet. Für die Boulevardzeitungen sind die beiden fette Beute, der »rote Peter« und »Hanoi Mary«, der Kanzlersohn und die Pfarrerstochter. »Ausgerechnet eine Pfarrerstochter!«, habe Willy Brandt gegenüber Johannes Rau mit einem milden Lächeln geseufzt. Theodor Jänicke war seit 1958 Pfarrer in Berlin-Dahlem an der Jesus-Christus-Kirche. Der pazifistische Gottesmann, in dessen Haus Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer regelmäßige Gäste waren, unterstützte das politische Engagement seiner Tochter, doch an der Gewaltfrage schieden sich die Geister. Nachdem das Amerika-Haus von Studenten, die gegen den Vietnam-Krieg demonstrierten, mit Farbbeuteln beworfen wurde, Maria und Peter waren unter den Demonstranten, fuhr Theodor Jänicke gegenüber seiner Tochter aus der Haut. »Mein Vater hat sonst nie gebrüllt, das war nicht seine Art, aber da gerieten wir in einen furchtbaren Streit. ›Das endet in einem Meer von Blut‹, brüllte er.« Maria Jänicke lernt Peter bei den »Falken« kennen. Schon damals sticht der Schüler hervor: »Peter wollte immer dem Ernst des Lebens gerecht werden. Er blieb immer sachlich, ganz egal, was ihm die Leute erzählten oder wie aggressiv man ihm begegnete, er versuchte, diesen Leuten und ihren Argumenten differenziert zu begegnen. Ich kannte viele seriöse Leute, aber nicht in meinem Alter, und Peter war absolut seriös!«
»Wann haben Sie sich denn in ihn verliebt?«
»Das war im November 1965. Wir haben von den »Falken« eine Gedenkstättenfahrt nach Prag und Theresienstadt gemacht. Wir saßen im Reisebus und Peter schlief, den Kopf an die Scheibe gelehnt. Er sah in diesem Moment total unbehütet aus, sehr einsam, da fehlte was, das fiel mir auf, obwohl wir doch alle recht cool drauf waren und uns cool gaben. Peter wirkte auf mich nicht wirklich geborgen.«
»Das war der Augenblick?«
»Ja, aber er hat mich erst mal ignoriert.«
Nachdem die beiden ein Jahr zusammen sind, es wird also etwas Ernsthaftes, machen sich auch die Eltern miteinander bekannt. Zu Weihnachten 1970 besuchen Rut und Willy Brandt den Gottesdienst in der Jesus-Christus-Kirche und setzen sich unauffällig in die letzte Reihe. Nach dem Gottesdienst treffen sich die Brandts und die Jänickes im Pfarrhaus, Willy Brandt nimmt die Verlobte seines Sohnes herzlich in den Arm. Die erste gemeinsame Wohnung beziehen die beiden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, denn sie sind beide noch unter 21 und damit noch nicht volljährig, außerdem gilt noch der Kuppeleiparagraph, wonach sich derjenige strafbar machte, wer unehelichen Paaren Sex ermöglichte, indem er ihnen ein Zimmer vermietete. Erst unter Willy Brandts Kanzlerschaft wird dieser repressive Paragraph abgeschafft und das Sexualrecht liberalisiert.
Peter ist in diesen Jahren so etwas wie ein marxistischer Musterschüler, der die Texte besser kennt als die anderen, der sie eifriger und eigenwilliger interpretiert. Gleichwohl respektiert er stets den Vater, dessen politische Positionen er zwar nicht teilt, den er aber persönlich nie angreift. Gegenüber anderen spricht er, so Maria Jänicke, immer mit einer gewissen Ehrfurcht von seinem Vater. Oft ist von der Toleranz Willy Brandts gegenüber seinen Söhnen gesprochen worden, vermutlich muss man umgekehrt auch von der Toleranz der Söhne gegenüber ihrem Vater sprechen, die, jeder aus einem anderen Blickwinkel, den Vater als außergewöhnliche Größe anerkennen.
Als Maria und Peter 1973 in eine Krise geraten und Maria sich mit Trennungsabsichten trägt, reist Rut Brandt eigens aus Bonn an, um sie dazu zu bewegen, diesen Schritt noch einmal zu überdenken.
»Rut wollte mich davon abbringen, dass wir auseinanderziehen, sie fand, das sei der erste Schritt zur Trennung. Wir trafen uns, und sie sprach ganz eindringlich auf mich ein. ›Ich habe immer nur auf Peter gewartet‹, sagte ich zu ihr und sie antwortete ›Man kann dennoch gut zusammenleben, ich muss auch immer auf Willy warten‹.«
Ein Grund für die Paarkrise war neben anderen sicherlich die Arbeitswut Peters. »Als Peter seine Doktorarbeit schrieb«, erinnert Maria Jänicke, »musste man Angst um ihn haben!«
»Warum?«
»Er vergrub sich, vergaß, etwas zu essen, und
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