Die Farben der Finsternis (German Edition)
McDonnell fand es schon anstrengend, auch nur zu versuchen, so zu denken wie er, und es störte sie sehr, dass sie ihn brauchte.
»Sie ist die beste Wahl, und zwar aus verschiedenen Gründen«, fuhr ihr Spin-Doctor fort. »Ihre Schwester ist gerade gestorben, also werden die Pressegeier – und etwaige Untersuchungsausschüsse – sie mit Samthandschuhen anfassen, und ihr Vater kann ihr einen anderen Posten im Personenschutz beschaffen, der noch dazu tausendmal besserbezahlt ist. Falls wir sie für morgen herbestellen …« Er machte eine Pause und sah den Innenminister an. »Wie? Habe ich was verpasst?«
Dawson sah McDonnell an. Wäre sie nicht so müde gewesen, hätte sie laut gelacht. Allmählich entwickelte es sich zu einer Farce. Wie schnell doch Reiche zerfielen.
»Es geht um Abigail«, sagte sie.
»Was ist mit ihr?« Simpson bekam schmale Augen.
»Sie ist nicht beurlaubt. Sie ist wegen des Trauerfalls nach Hause gegangen und dann ist sie verschwunden. Sie ist aus dem Fenster im Hinterhaus geklettert und nicht mehr zurückgekehrt. Fletchers Leute suchen sie, aber die Spur ist kalt.«
»Verdammte Scheiße!«
»Doch wenn wir den Leuten erzählen«, fuhr McDonnell fort, »dass sie weg ist, glauben mit Sicherheit alle, dass sie die ganze Sache geplant hat. Genau das glauben wir ja auch – also warum sagen wir nicht einfach die Wahrheit?«
»Dafür gibt es zwei Gründe.« Simpson stand auf und sah auf sie hinunter. »Erstens, falls sie Sie loswerden wollen, beziehungsweise uns alle, können sie Ihnen vorwerfen, dass Sie Abigail eingestellt haben. Sie werden Sie für unfähig und naiv erklären.«
»Technisch gesehen hat Alison sie nicht eingestellt«, fiel Dawson ihm ins Wort.
»Diese Korinthenkackerei können Sie sich sparen. Sie ist am Ruder, das heißt, sie übernimmt die Verantwortung. Wer die Leute wirklich einstellt und feuert, interessiert niemanden: Es wird heißen, wenn man nicht mal eine Sicherheitsbedrohung mitten zwischen den Personenschützern erkennt, wie soll man dann eine von außen erkennen? Die werden Sie kreuzigen. Und als Nächstes werden sie Ihnen die Londoner Bombenanschläge in die Schuhe schieben. Ihnen ganz persönlich. « Die Pause reichte gerade, um Luft zu holen. »Zweitens: Diejenigen, die nicht glauben, Sie wären zu doof, werden denken, dass sie Abigail versteckt haben, eben weil Sie das Ganze wirklich organisiert haben, um Ihre Umfragewerte nach oben zu treiben, und niemand an sie rankommen und nach der Wahrheit fragen soll. Schluss mit Win-win, das hier ist eine Lose-lose-Situation – Sie können nur verlieren.«
»Nach der Wahrheit?« McDonnell sah zu ihm hoch. »Da sei Gott vor, dass wir einmal die Wahrheit sagen oder das Leben und die Integrität anderer Menschen im Auge haben.«
»Kommen Sie mir ja nicht auf die scheinheilige Tour.« Der Spin-Doctor sah sie böse an. »Wenn Sie so viel Wert auf die scheiß Wahrheit und die Menschen legen, gehen Sie gefälligst ins Kloster oder widmen Sie sich blöden behinderten Kindern. Wir reden hier von Politik. «
»Sie haben recht.« McDonnell hob entschuldigend die Hände. Was sie anging, hatte er nicht recht und würde nie recht haben, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, mit ihm zu streiten, außerdem war es sinnlos. Sie würde sowieso nicht gewinnen. Sie war auch nur eine Figur auf dem Schachbrett und im Augenblick fühlte sie sich wie ein überaus entbehrlicher Bauer.
»Heißt das, wir sind am Ende?«, fragte Dawson leise.
»Tja, das kommt ganz drauf an«, erklärte Simpson. »Wollen Sie die Chefin retten oder die Regierung?«
»Die Regierung.« McDonnell zögerte keine Sekunde. »Merchant darf nicht regieren. Der Mann ist wahnsinnig. Wenn er an die Macht kommt, ist das Land endgültig erledigt.«
»Dann müssen wir intern eine praktikable Machtübernahme organisieren. So, dass wir die Kontrolle behalten.«
»Was meinen Sie damit?«
Simpson lächelte. »Im Kabinett trauen Sie Dawson am meisten?«
»Unbedingt.«
»Dann werden wir ihn dazu einsetzen, Sie zu stürzen.«
20
Die Bank strafte die Telefonistin Lügen, denn in Wirklichkeit schlief dort niemand. Das schmale Gebäude an der Themse beherbergte alle Geschäftsbereiche Der Bank weltweit. Hier lag das offizielle Hauptquartier, obwohl Die Bank selbstverständlich auch in anderen Städten repräsentativ residierte. Früher war hier der MI6 zu Hause gewesen, doch nun fungierte es zumindest in Cass’ Augen als Fassade für etwas wesentlich Bedrohlicheres: das
Weitere Kostenlose Bücher