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Die Farben der Finsternis (German Edition)

Die Farben der Finsternis (German Edition)

Titel: Die Farben der Finsternis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Pinborough
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weiterspielen.
    Auf einmal klingelten beide Telefone gleichzeitig. Das Handy vibrierte auf seinem Schreibtisch und das Festnetztelefon schrillte durch den Verkehrslärm und die Musikfetzen des alten Mannes auf der Straße. Er griff nach seinem Handy. Auf dem Display erschien kein Anrufername, nur das Wort International . Ohne dranzugehen, prüfte er das Festnetztelefon, das die gleiche Info zu bieten hatte. Er starrte einen Augenblick auf seine beiden Telefone und ließ sie weiterklingeln. Zufall? Es gab keine Zufälle, hatte Mr Bright vor nicht allzu langer Zeit erklärt. Es gibt kein Leuchten.
    Cass ging an sein Handy. In dem Moment, in dem er die grüne Taste drückte, hörte das Festnetztelefon auf zu klingeln. Er hörte »Summertime« und die Töne passten genau zu dem Vortrag von draußen, aber die Musik am Telefon war eindeutig eine Aufnahme mit mehreren Instrumenten, über die sich eine Stimme legte, die eindringlich dazu sang. Cass starrte wieder beide Telefone an und ließ den Blick dann zurück zum Fenster schweifen. Was zum Teufel war hier los?
    »Hallo?«, sagte er. Er hatte auflegen wollen, aber das Wort war ihm rausgerutscht. Er wusste genau, was los war. Sie spielten ihr Spielchen mit ihm, in das sie seine Familie schon so lange hineinzogen.
    Das Lachen am anderen Ende der Leitung war weich und freundlich und süß wie Honig. Cass hielt den Atem an. Dagegen kam die Musik nicht an. Ihm wurde ganz warm im Inneren, als das Blut durch seine Adern pumpte. Plötzlich war er hart.
    »Der Junge ist der Schlüssel«, sagte sie.
    Sein Schwanz pochte. Was war das für ein Akzent?Französisch? Russisch? Keins von beidem und beides zugleich.
    »Lass nicht zu, dass sie den Jungen behalten.«
    Das Telefon tutete, gleichzeitig hörte der Geiger draußen auf zu spielen. Cass fragte sich, ob der alte Mann überhaupt noch da stehen würde, wenn er jetzt aus dem Fenster guckte. Mit zitternden Händen legte er das Handy wieder auf den Schreibtisch und setzte sich. Seine Eier schmerzten, als sein Steifer wieder schlaff wurde. Was hatte sie mit ihm gemacht? Keine Stimme der Welt hatte jemals so einen Effekt auf ihn gehabt. Er brannte innerlich. Er leuchtete . Das spürte er. Er konnte die Ränder der Formen um sich herum schärfer sehen. Scheiße, dachte er und holte tief und abgerissen Luft. Sie konnte ihn auch mal. Er brauchte mehr Drogen. Er sehnte sich nach der Arroganz, die das Kokain ihm verlieh.
    Er würde es nicht zulassen, dass sie den verlorenen Jungen behielten. Er würde ihn finden, aber nicht für sie oder für irgendjemand sonst. Cass suchte ihn für Christian, und wehe dem, der ihm dabei in die Quere kam.

16
    Mr Bright sah schweigend zu, wie Mr Dublin durch das Sichtfenster in Mr Rasnics Zimmer lugte. Er hatte sich seit über einem Jahr nicht mehr blicken lassen. Mr Bright hatte gedacht, er würde überhaupt nicht mehr kommen, aber da hatte er sich geirrt. Vielleicht hatte der Ausflug in die Erste Stadt in diesen schweren Zeiten seine Melancholie geweckt. Mr Dublin behielt seine Züge unter Kontrolle, aber er wurde so bleich wie sein Haar. Das konnte passieren, wenn man einen der Seinen so sah.
    »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er das sein soll. Er war immer so …« Er neigte den Kopf. »Er war etwas Besonderes, auch unter uns.« Mr Dublins Stimme war wie fließendes Wasser, klar und melodisch.
    Mr Bright schwieg.
    »Und jetzt ist er einfach nur leer. Kein bisschen wie ein Bruder.« Mr Dublin zündete sich eine dünne türkisfarbene Sobranie-Zigarette an. Auf diesem stillen mitternächtlichen Klinikflur war das Rauchen nicht verboten. Hier galten die Regeln von draußen nicht.
    »Irgendeine Veränderung?«
    »Nein. Er ist weniger aufgewühlt, genau wie die anderen. Heutzutage sind sie geradezu katatonisch.«
    Nach einem letzten ausführlichen Blick schloss Mr Dublin das Sichtfenster. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig, sonst verriet nichts seinen Ekel. »Er ist wie sie geworden. Leuchtet er überhaupt noch?«
    »Das kann man nicht sagen«, antwortete Mr Bright. »Ich glaube es nicht.«
    »Wo zum Teufel ist es dann hin?«
    »Verloren gegangen. Im Chaos vor den Gängen, wo immer sie geblieben sein mögen.« Er drehte sich um und gingweiter ins Zentrum des Gebäudes, vorbei an den Wachposten, die vor den verschiedenen Türen standen, und vorbei an dem Zimmer, in dem der Erste schlief. Schließlich kam er in das Atrium mit der Galerie, von wo man die Aktivitäten in der Etage darunter beobachten

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