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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Zug 9.32. Professor Overforce arbeitet bereits an der Trauerrede.‹ Professor Overforce!« Er stand auf. »Ich muß sofort nach Oxford. Wann geht der nächste Zug?«
    »Heute abend geht kein Zug mehr«, sagte Baine, der wandelnde Fahrplan. »Der erste Zug morgen früh fährt um sieben Uhr vierzehn von Henley ab.«
    »Da muß ich mit«, sagte Professor Peddick. »Packen Sie sofort meine Sachen. Overforce! Er hat nicht vor, eine Trauerrede halten. Er hat vor, meine Theorie von Geschichte zu seinen Gunsten zu diskreditieren. Er ist auf den Haviland-Lehrstuhl aus! Natürliche Gewalten! Bevölkerung! Mörder!«
    »Mörder?« schrillte Mrs. Mering, und ich befürchtete schon, es gäbe eine Neuauflage der Lebendig-oder-Tot-Diskussion, aber Professor Peddick ließ ihr nicht einmal die Chance, nach ihrem Riechsalz zu verlangen.
    »Nicht daß Mord in seiner Geschichtstheorie eine Rolle spielt«, fuhr er, das Telegramm umkrampfend, fort.»Der Mord an Marat, der an den zwei jungen Prinzen [71] im Tower, der Mord an Darnley [72] – laut Professor Overforce hat das alles keine Auswirkung auf die Geschichte. Individuelle Aktionen sind für den Lauf der Dinge unwichtig. Ehre zählt in seiner Theorie nicht und auch nicht Eifersucht, Dummheit oder Glück. Nichts davon hat Auswirkungen auf Ereignisse. Weder Sir Thomas Moore noch Richard Löwenherz oder Martin Luther.« Und so weiter und so fort.
    Mrs. Mering machte ein paarmal den Versuch, ihn zu unterbrechen, gab es dann auf und sank in die Polster. Colonel Mering nahm seine Zeitung (nicht die Oxford Chronicle), und Tossie, das Kinn in die Hand gestützt, spielte mit einem großen rosafarbenen Federhalterwischer, der einer Nelke glich. Terence streckte am Kamin die Beine aus, und Prinzessin Arjumand rollte sich auf meinem Schoß zusammen und schlief ein.
    Regen trommelte gegen das Fenster, das Kaminfeuer knackte. Cyril schnarchte. Verity bearbeitete entschlossen ihre Stickerei, den Blick hin und wieder auf die große Standuhr gerichtet, die stehengeblieben zu sein schien.
    »Bei der Schlacht von Hastings«, sagte Professor Peddick, »wurde König Harold durch einen Pfeil, der ihm ins Auge drang, getötet. Ein glücklicher Treffer, der den Ausgang der Schlacht entschied. Wie verhält sich Professor Overforces Theorie zum Glück?«
    Jemand betätigte laut den Türklopfer der Haustür, und Verity stach sich mit der Sticknadel in den Finger. Terence fuhr blinzelnd hoch. Baine, der gerade Holzscheite im Kamin nachlegte, erhob sich und ging zur Tür.
    »Wer kann das um diese Uhrzeit sein?« fragte Mrs. Mering.
    Himmel, dachte ich, bitte, laß es Mr. C sein.
    »Natürliche Gewalten! Bevölkerung!« schäumte Professor Peddick. »Wie paßt der Sieg von Khartum in diese Theorie?«
    Vom Vestibül her hörte ich Gemurmel, Baines Stimme und die eines anderen Mannes. Ich schaute zu Verity hinüber, die an ihrem Finger lutschte, und dann wieder auf die Tür des Salons.
    Baine erschien darin. »Reverend Arbitage«, sagte er, und der Geistliche stürzte ins Zimmer. Regen tropfte von der Krempe seines flachen breitkrempigen Hutes.
    »Ich weiß, es ist unverzeihlich von mir, zu so später Stunde zu erscheinen«, sagte er und gab Baine seinen Hut, »aber ich mußte einfach vorbeischauen und Ihnen sagen, welch ein Erfolg das Kirchfest war. Ich war drüben in Lower Hedgebury zu einem Treffen des Armenviertel-Komitees, und jedermann war baß erstaunt über unseren Erfolg. Ein Erfolg…« – er lächelte dümmlich –, »den ich vollkommen Ihrer Idee mit dem Wohltätigkeitsbasar zuschreibe, Mrs. Mering. Reverend Chichester möchte nun bei seinem Mittsommerfest zugunsten der Mission für gefallene Mädchen auch so einen Basar organisieren.«
    »Reverend Chichester?« Ich beugte mich vor.
    »Ja«, sagte er eifrig. »Er wollte wissen, ob Sie ihm eventuell bei dieser Überraschung Ihre Erfahrung zugute kommen lassen würden, Mrs. Mering. Und Sie beide, Miss Brown und Miss Mering, natürlich auch.«
    »Reverend Chichester?« fragte ich. »Ich glaube, ich habe schon mal von ihm gehört. Jung, unverheiratet, mit dunklem Schnurrbart?«
    »Reverend Chichester?« fragte der Geistliche. »Um Himmels willen, nein. Neunzig, wenn nicht noch mehr. Außerdem ziemlich rheumatisch, aber immer noch aktiv, wenn’s um gute Werke geht. Und sehr interessiert am Jenseits.«
    »Wundert mich nicht«, murmelte Colonel Mering aus den Tiefen seiner Zeitung. »Steht ja auch mit einem Fuß schon über der Schwelle.«
    »Der Tag des

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