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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Baine holen, nachdem ihre Mutter in Ohnmacht gefallen war«, sagte ich.
    »Wie lange blieb sie weg?«
    »Nur solange, wie sie brauchte, Baine zu holen«, sagte ich und setzte, als ich ihre niedergeschlagene Miene sah, hinzu: »Vielleicht ist sie auf dem Gang mit jemandem zusammengestoßen. Wir sind immer noch nicht zu Hause. Vielleicht trifft sie hier im Zug jemanden. Oder auf dem Bahnhof in Muchings End.«
    Doch der Bahnhofsvorsteher, der Tossie ins Abteil half, war mindestens siebzig und auf dem regennassen Bahnsteig in Muchings End kein Mensch. Und zu Hause auch nicht, wenn man von Colonel Mering und Professor Peddick absah.
    Ich hätte telegrafieren sollen.
    »Hatte eine großartige Idee«, sagte Colonel Mering und kam freudestrahlend durch den Regen geeilt, um uns zu begrüßen.
    »Mesiel, wo ist dein Schirm?« unterbrach ihn Mrs. Mering. »Wo ist dein Mantel?«
    »Brauch’ beides nicht«, befand der Colonel. »War nur mal draußen, um meinen neuen rotgepunkteten Silbertancho anzuschauen. Bin vollkommen trocken«, setzte er hinzu, obwohl er ziemlich durchweicht aussah und sein Schnurrbart schlaff herabhing. »Konnte nicht abwarten, dir von unserer Idee zu erzählen. Großartig, einfach großartig. Dachten, wir sagen dir’s sofort, stimmt’s, Professor Peddick? Griechen!«
    Mrs. Mering, der Baine, einen Schirm über sie haltend, gerade aus der Kutsche half, beäugte Professor Peddick argwöhnisch, als sei sie sich seiner Leibhaftigkeit immer noch nicht ganz sicher. »Kriechen? Wer?«
    »Thermopylae«, sagte der Colonel freudig. »Marathon, der Hellespont, die Straße von Salamis. Habe die Schlacht heute durchdacht. Fiel mir so ein. Die einzige Möglichkeit, die Gegend richtig zu beurteilen. Sich die Armeen vorzustellen.«
    Es tat einen unheilverkündenden Donnerschlag, den er ignorierte. »Ferien für die ganze Familie. Bestellen Tossies Aussteuer in Paris und besuchen Madame Iritosky. Bekam heute ein Telegramm, daß sie ins Ausland reist. Angenehmer Ausflug.« Er hielt inne und wartete lächelnd auf die Reaktion seiner Gattin.
    Diese hatte sich augenscheinlich entschieden, Professor Peddick für lebendig zu halten, zumindest im Augenblick. »Professor Peddick«, sagte sie mit einer Stimme, die so kalt war, daß sie gut und gern mehrere Schals vertragen hätte, »bevor Sie zu diesem Ausflug aufbrechen wollen, beabsichtigen Sie da vielleicht, Ihre Familie über Ihre Pläne zu informieren? Oder lassen Sie zu, daß sie weiter Trauerkleidung tragen wie bisher?«
    »Trauerkleidung?« Der Professor holte sein Monokel hervor.
    »Wie bitte, meine Liebe?« fragte der Colonel.
    »Mesiel«, sagte Mrs. Mering. »Du hast eine Schlange an deinem Busen genährt.« Ihr anklagender Finger richtete sich auf Professor Peddick. »Dieser Mann hat diejenigen getäuscht, die ihm ihre Freundschaft angeboten, ihn aufgenommen haben, aber was noch weitaus schlimmer ist, auch seine Lieben zu Hause.«
    Professor Peddick nahm sein Monokel ab und prüfte die Gläser.
    »Schlange?«
    Es dämmerte mir, daß wir auf diese Art die ganze Nacht hier draußen stehen würden, ohne daß Professor Peddick das Unglück, das ihn heimgesucht hatte, verstehen würde, und ich überlegte, ob ich mich besser einmischte, vor allem, weil es gerade wieder zu regnen begann. Ich schaute zu Verity, aber sie blickte sehnsüchtig auf die leere Auffahrt.
    »Professor Peddick… «, begann ich, aber Mrs. Mering hielt ihm schon die Oxford Chronicle vor die Nase.
    »Lesen Sie das!« befahl sie.
    »Wahrscheinlich ertrunken?« Er setzte das Monokel auf und wieder ab.
    »Haben Sie Ihrer Schwester nicht ein Telegramm geschickt?« fragte Terence. »Und ihr mitgeteilt, daß Sie mit uns flußabwärts fahren?«
    »Telegramm?« Professor Peddicks Stimme klang unsicher, und er drehte die Zeitung herum, als stünde die Antwort auf der Rückseite.
    »Die Telegramme, die Sie in Abingdon wegschickten«, half ich nach. »Ich fragte Sie, ob Sie die Telegramme abgeschickt haben, und Sie sagten ›Ja‹.«
    »Telegramme? Ach ja, jetzt fällt es mir ein. Ich schickte ein Telegramm an Dr. Maroli, den Verfasser eines Aufsatzes über die Unterzeichnung der Magna Charta. Und ein zweites an Professor Edelswein in Wien.«
    »Sie sollten doch Ihrer Schwester und Ihrer Nichte ein Telegramm schicken«, sagte Terence. »Damit sie wissen, wo Sie stecken.«
    »Ach, du meine Güte«, sagte Professor Peddick. »Nun ja, Maudie ist ein vernünftiges Mädchen. Als ich nicht nach Hause kam, wird sie sich

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