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Die Farben des Chaos

Titel: Die Farben des Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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lagen.
    »Setzt Euch. Ihr seht aus, als könntet Ihr eine Pause gebrauchen.« Kinowin goss aus einem grauen Krug etwas in einen Becher. »Und etwas zu trinken.«
    »Danke, Ser.« Cerryl setzte sich vorsichtig und betrachtete den Becher.
    Eine einsame Bronzelampe in einem Wandhalter spendete ein schwaches Licht im unteren Turmzimmer. Ein leichter Luftzug wehte durchs offene Fenster aus der Dunkelheit herein.
    »Trinkt. Es ist frischer Apfelwein. Nennt es meinetwegen eine Verbeugung vor Myral.« Kinowin beugte sich vor und hob seinen Becher. Er nahm einen Schluck, ehe er fortfuhr. »Eines der wenigen Erzeugnisse, die bei dieser Ernte nicht gelitten haben.«
    Cerryl trank einen Schluck Apfelwein und genoss den Geschmack der kühlen Flüssigkeit.
    »Man hat Euch aufgefordert, einen Aufsatz zu verfassen. Er sollte die Frage behandeln, warum es für den einzelnen Magier und die ganze Gilde gefährlich ist, die Regeln zu brechen.« Kinowin hob das Pergament. »Das hier ist besser, als ich erwartet hätte, Cerryl. Es ist erheblich besser, als Redark, Esaak oder Broka es für möglich gehalten hätten. Sie haben Jeslek vorgeschlagen, dass Ihr in einigen Jahren und mit entsprechender Erfahrung als Lehrer eingesetzt werden und den Anwärtern erklären sollt, warum die Gilde so wichtig ist.« Kinowin lächelte belustigt. »Die Tatsache, dass es noch einige Jahre dauern dürfte, haben sie besonders nachdrücklich betont.« Der Obermagier legte die Papiere auf den Tisch, stand auf und trat ans Fenster. Dort blieb er stehen und betrachtete den roten und goldenen Wandbehang und nicht den blauen und purpurnen, wie er es sonst meist tat.
    »Ihr habt über das, was Ihr geschrieben habt, gründlich nachgedacht, das ist nicht zu übersehen. Eure Gedanken sind so klar, dass man sich beinahe fragt, warum Ihr überhaupt gegen die Regeln verstoßen habt. Es kommt eindeutig zum Ausdruck, dass Ihr aus Eurem Fehler gelernt habt. Ich musste den Dreien nicht erst zeigen, was Ihr geschrieben habt. Aber was meint Ihr, warum ich ihnen trotzdem Euren Aufsatz zum Lesen gegeben habe, abgesehen von dem Nachweis, dass Ihr aus Euren Erfahrungen gelernt habt?«
    Cerryl schluckte. Er hatte gewisse Ideen, aber konnte er es wagen, sie auszusprechen?
    »Sprecht nur.«
    »Weil Ihr anderen meinen Wert aufzeigen und beweisen wolltet, dass Euer Urteil richtig war?«
    Kinowin wandte sich wieder an Cerryl. »Ihr könntet einer der größten Magier aller Zeiten werden. Aber ganz egal wie groß Ihr sein könnt, Ihr seid nur ein einzelner Mann. Ist Jeslek ein größerer Magier als Isork?«
    »Äh … das würde ich meinen.«
    »Wie könnte Jeslek sich um die Probleme in Spidlar und Gallos kümmern, wenn er sich nicht darauf verlassen könnte, dass Isork daheim für Ruhe und Ordnung sorgt?«
    Cerryl konnte erkennen, wohin das führen würde.
    »Ist der Erzmagier ein stärkerer Magier als Esaak? Gewiss, aber hat Jeslek die Zeit, Schüler in Mathematik zu unterrichten?« Der Obermagier hüstelte und räusperte sich. »Das sind ganz einfache Fragen. So einfach, dass sogar ein ungebildeter Bauernjunge aus Fenard die Antworten finden könnte. Aber Herrscher auf Herrscher und Generation auf Generation wird vernichtet, weil die Herrschenden keine vertrauenswürdigen Helfer finden, die das Land beisammen halten und sich um die alltäglichen Pflichten kümmern.«
    Cerryl nickte. »Auch deshalb muss es Regeln geben. Damit alle gut zusammenarbeiten.«
    »Ihr besitzt enorme Fähigkeiten, Cerryl«, fuhr Kinowin fort. Doch statt den jungen Magier anzuschauen, sah er weiter aus dem Fenster. »Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, führt der Besitz von Fähigkeiten, die andere nicht haben, gewöhnlich zu gleichermaßen enormen Fehlern. Manchmal werden die Fehler nicht entdeckt, weil sie so gewaltig sind, dass niemand sich vorstellen kann, wie es anders sein könnte. Manchmal wirken sie aber auch sehr dumm, weil niemand die Gedanken hinter ihnen verstehen kann.«
    »Mein Fehler war dumm«, räumte Cerryl ein.
    »Ihr wollt mehr sein als ein einfacher Magier der Stadtwache. Ihr habt Euch Sorgen gemacht, weil die Leute Hunger hatten. Ihr fandet es ungerecht, einen kleinen Jungen, der Euch vielleicht sogar ähnlich war, zum Straßenbau zu schicken – und das nur, weil er versucht hat, für seine kranke Schwester etwas zu essen aufzutreiben.«
    »Daran habe ich gedacht.«
    »Wenn Ihr Magier seid, müsst Ihr immer einen Ausgleich zwischen dem finden, was getan werden muss, und den

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