Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
Vom Netzwerk:
vorbeilaufen, atme ich ihren durchdringenden Geruch nach Wolle und Mist ein. Ich werde von Heimweh überwältigt.
    »Krabben! Schnecken!«, schreit mir ein Junge ins Ohr, als er an mir vorbeigeht. Sein Korb riecht nach Salz und Seetang. Der Verkehr umschließt die Schafe, und ich verliere sie aus den Augen, als die Straße sich nach rechts biegt. Sie sind fort. Ich fühle mich einsam. Die Stufen zum Lebensmittelladen sind steil und gleichmäßig. Manchmal schmerzen meine Beine beim Treppensteigen.
    Im Laden ist niemand, den ich kenne. Die Frauen kommen mir groß und schmuddelig vor, und sie erfüllen den Raum mit ihren Körben und ihren lauten Stimmen, die nach Käse und Reis und Bleicherde fragen. Eine von ihnen dreht sich um, als sie meine Stimme hört, und wirft einen flüchtigen Blick auf meinen Bauch. Ich renne beinahe nach Hause und bin froh, den seltsamen Geruch im Hausflur zu riechen, als ich eintrete.
    Zu Hause. Ich habe diesen Ort mein Zuhause genannt. Das war ein Fehler, denn ich weiß, dass mein Zuhause weit entfernt Richtung Süden liegt, an der Rückseite der Hügel am Rand der Wälder, nicht weit vom Meer. Das hier kann nie mein Zuhause sein, diese seltsamen Gerüche und das Labyrinth von Gängen und Nebengebäuden, diese alten, breiten, ausgetretenen Treppen, die mit Stadtpolitur und Stadtschmutz überzogen sind. Wie kann ich es Zuhause nennen, wenn es Räume gibt, von denen ich noch nicht einmal etwas weiß?
    Ich gehe in die Küche und verstecke den Salbei im Schrank.
    Wenn ich vorsichtig daran denke, empfinde ich den Verlust meines Zuhauses jetzt ganz tief in mir, kaum zu spüren, wie ein winziges Schluchzen am Ende eines langen Tunnels.

28

    Endlich hat Mary Spurren das Haus verlassen, um auf dem Markt von Billingsgate Fisch zu besorgen. Sie wird mindestens eine halbe Stunde lang fort sein, und Mrs. Blight ist ebenfalls außer Haus. Ich habe nicht viel Zeit für das, was ich tun muss.
    Der Salbei ist verwelkt, und die Blätter hängen schlaff von den Stängeln. Ich habe so wenig Zeit. Mein Herz rast, wenn ich an die Folgen denke.
    Wenn ich den Salbei zu lange koche, wird er seinen Zweck nicht erfüllen. Werden vielleicht die Eigenschaften zerstört, wenn er zu stark erhitzt wird? Oder werden sie verstärkt? Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur bruchstückhaft daran erinnern, was meine Großmutter mir über Kräuter erzählt hat. Warum habe ich ihr bloß nicht aufmerksamer zugehört? Warum kocht das Wasser im Kessel nicht schneller? Das Feuer ist nicht kräftig genug. Ich schüre es erneut. Wieder warte ich. Dann sprudelt das Wasser, und ich hebe den schweren Kessel mit zitternden Händen von der Herdstelle und gieße es über die Salbeiblätter. Wenn die Blätter zu kurz im Wasser sind, wie können dann die Eigenschaften in den Aufguss übergehen?
    Ich lasse das Ganze so lange ziehen, wie ich es wage, und gieße es hastig in eine weiße Tasse. Dabei verschütte ich eine Menge auf dem Tisch.
    Der Sud ist so trüb und grünlich braun wie Wasser in einem Teich. Wird er nach nichts schmecken oder nach dem, was er ist, nämlich abgekochte Blätter? Ich fange rasch an, den Sud hinunterzuschlucken, weil ich so wenig Zeit habe. Er ist zu heiß, und ich verbrenne mir die Zunge und die Lippen. Ich bin froh darüber. Es schmeckt sehr bitter, scharf und unangenehm.
    An der Tür ist ein Geräusch! Ich pruste und halte inne.
    Jemand ist schon zurück, dreht den Schlüssel im Schloss und kommt den Flur entlang. Es geschieht nicht oft, dass Mary Spurren etwas zügig erledigt, aber diesmal war sie schnell. Sie ist außer Atem, weil sie rasch gegangen ist, und ihre Brust hebt und senkt sich. Sie legt das Paket mit dem Fisch auf den Küchentisch und sieht sich um, als würde der beschleunigte Blutfluss sie wachsamer als sonst machen.
    »Hab Makrelen bekommen«, verkündet sie. »Hab sie dazu gebracht, sie für mich auszunehmen, aber die Köpfe und die Schwänze hat sie drangelassen. Ich mag Fisch, der aussieht wie ein Fisch.« Sie verstummt und schnuppert. »Was ist das für ein komischer Geruch?«, fragt sie. Sie wendet mir den großen Kopf zu.
    Ich versuche, ausdruckslos und geschäftig zu wirken. Ich blicke vom Spülstein auf, wo ich den Aufguss hineingekippt habe. Sorgfältig trockne ich die Porzellantasse ab und stelle sie hinten in den Schrank. »Vielleicht Rauch von den Kohlen«, sage ich. Mein Herz schlägt heftig. »Der Wind verwirbelt schon mal und drückt sich in den Schornstein, wenn er aus Nordost

Weitere Kostenlose Bücher