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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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überhaupt von der Stelle gerührt? Merkwürdige Farben tanzten vor ihren Augen, und ganz kurz glaubte sie, durch einen großen dunklen Gang zu laufen.
    Steige wie die Erdtochter hinab in die Dunkelheit. Eine ferne Stimme schien sie zu führen, obwohl sie nicht wußte, ob es wirklich eine Stimme war. Du mußt nacheinander alle Dinge dieser Welt hinter dir lassen, die dir lieb und teuer sind, denn nun hast du nichts mehr damit zu tun.
    Kassandra stellte fest, daß sie ihre Waffen trug; sie hätte schwören können, daß sie die Waffen im Palast zurückgelassen hatte. Durch das Trommeln hindurch hörte sie wieder die führende Stimme :Dies ist das erste Tor der Unterwelt. Hier mußt du alles zurücklassen, was dich an die Erde und an das Reich des Lichts bindet.
    Kassandra zerrte an dem unvertrauten Gürtel des Gewandes, das sie trug, und löste das juwelenbesetzte Lederband, in dem Schwert und Speer steckten. Sie erinnerte sich daran, daß Hekabe sie ermahnt hatte, die Waffen stets in Ehren zu tragen. Aber das lag weit weit zurück und hatte nichts mit der dunklen Höhle zu tun. War auch Penthesilea an dieses schwarze Tor gekommen und hatte ihre Waffen hier zurückgelassen? Kassandra hörte durch das Trommeln hindurch, wie Schwert und Speer mit einem metallischen Klirren auf dem Boden aufschlugen.

    Weshalb bewegten sich ihre Hände so langsam - oder hatten sie sich überhaupt bewegt? War alles nur eine Illusion der Trommeln, oder kauerte sie immer noch bewegungslos im dunklen Kreis, obwohl sie in Andromaches langem ungegürteten Gewand, das sie irgendwie überhaupt nicht behinderte, entschlossen durch den dunklen Gang schritt.
    Irgendwo entdeckte sie Feuerschein. Flammen unter ihr? Oder blickte sie in das schmale Auge einer Schlange?
    Es betrachtete sie, ohne zu blinken, und eine Stimme verkündete:  Dies ist das zweite Tor der Unterwelt. Hier mußt du deine Ängste aufgeben oder alles, was dich davon abhält, dieses Reich als eine derer zu betreten, deren Füße den Pfad kennen und in MEINE Fußstapfen treten.
    Das Auge der Schlange war nun dicht vor ihr; es bewegte sich, liebkoste sie, und in einem Aufblitzen der Erinnerung - waren vielleicht Jahrhunderte vergangen, war es in einem anderen Leben gewesen? - dachte sie daran, wie sie die Schlangen im Tempel des Sonnengottes gestreichelt und an sich gedrückt hatte; sie schien sie jetzt wieder an sich zu drücken, und das Schlangenauge kam näher und näher. Die Welt wurde immer enger, bis außer der Schlange, die sich um sie wand, nichts mehr mit ihr in der Dunkelheit war. Schmerz durchzuckte sie und sie war sicher, daß sie starb; sie überließ sich dem Tod beinahe mit Erleichterung.

    Aber sie war nicht tot; sie ging noch immer allein durch die feurige Dunkelheit; aber sie hörte durch das Dröhnen der Trommeln hindurch eine Stimme, die schließlich in ihrem Kopf dröhnte.
    Nun bist du in MEINEM Reich, und dies ist das dritte und letzte Tor der Unterwelt. Hier hast du nichts mehr als dein Leben. Wirst du auch das opfern, um  MIR  zu dienen?
    Außer sich dachte Kassandra:  Ich kann mir nicht vorstellen, was IHR mein Leben nützen kann. Aber ich bin so weit gegangen und werde jetzt nicht umkehren.
    Sie glaubte, laut gesprochen zu haben, aber ein Teil ihres Bewußtseins beharrte darauf, daß sie keinen Ton von sich gegeben hatte, daß Sprache eine Illusion war wie alles andere, was sie auf diesem Weg erlebt hatte - wenn es wirklich ein Weg und nicht nur ein merkwürdiger Traum war.
    Ich werde jetzt nicht umkehren, selbst wenn es mich das Leben kostet. Ich habe alles gegeben. So nimm auch mein Leben, dunkle Herrin.
    Sie lag empfindungslos in der Dunkelheit. Feuer schoß durch sie hindurch, und das Rauschen von Flügeln umgab sie.
    Göttin, wenn ich für DICH sterben soll, so gewähre mir wenigstens einen Blick auf DEIN Gesicht!
    Die Dunkelheit lichtete sich etwas; vor ihren Augen sah sie eine wirbelnde Blässe, aus der allmählich zwei dunkle Augen und ein weißes Gesicht auftauchten. Sie hatte dieses Gesicht schon einmal in einem Fluß gesehen … es war ihr Gesicht. Ganz nahe flüsterte eine Stimme durch das Trommeln und die klagenden Flötentöne hindurch:
    Weißt du es noch nicht? Du bist ICH, und ICH bin du.
    Dann erfaßten sie die rauschenden Flügel und löschten alles andere aus. Flügel und dunkle Sturmwinde schleuderten sie hinauf, hinauf zum Licht, obwohl sie sich verzweifelt wehrte.
    Aber es gibt noch soviel, was ich wissen möchte …
    Der Sturm

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