Die fiese Meerjungfrau
hatte noch seine blasse Gestalt vor Augen, wie sie im Wasser versank und sich zum Rest seiner Mannschaft gesellte.
Sie stellte sich dichter zu Armand, um Kraft aus seiner Gegenwart zu beziehen. »Ich erwarte von Euch, dass Ihr Euch für die Tode verantwortet, die Ihr verursacht habt. Aber nicht heute. Königin Beatrice liegt im Sterben, und Ihr hindert uns daran, ihr die Hilfe zu bringen, die ihr das Leben retten könnte. Deshalb werdet Ihr jetzt entweder freiwillig zur Seite treten, oder Ihr werdet zur Seite geworfen!«
Armand zuckte zusammen, mischte sich jedoch nicht ein. Die Wachen hielten den Atem an und beobachteten Varisto. Danielle konnte sehen, wie Talia das Gewicht verlagerte und sich leicht duckte, als sie sich darauf vorbereitete, Danielles Drohung in die Tat umzusetzen.
Varisto verschränkte die Finger und führte die Hände zum Mund, während er Danielle wütend anstarrte. Er atmete einige Male tief durch, ehe er sagte: »Ich werde die Meerjungfrau bekommen, dir mir meinen Bruder genommen hat. Wenn Ihr versucht, sie zu beschützen -«
»Das reicht!«, sagte Armand. »Ich verstehe Euren Kummer, Euer Hoheit. Wir werden später noch Zeit haben, uns zu unterhalten. Ihr und Eure Mannschaft seid willkommen, als unsere Gäste zu bleiben -«
»Verzeiht mir, wenn ich der Gastfreundschaft von Lügnern und Mördern misstraue. Ich werde bei meinem Schiff bleiben.« Damit wich Varisto zurück, ohne den Blick von Danielle abzuwenden. »Ein Jahr meines Lebens habe ich damit zugebracht, diese Meerjungfrau zu jagen. Stellt meine Geduld nicht auf die Probe!«
Danielle sah zu, wie er sich entfernte. »Er wird vielleicht versuchen, seine Männer auf die Phillipa zu schmuggeln, um Morveren zu entführen. Wir sollten -«
»Ich würde mir da keine Sorgen machen«, meinte Talia. »Kapitän Hephyra wird sie beobachten, und ich bin sicher, sie wartet nur auf eine Entschuldigung, um ein bisschen mit den Menschen zu spielen, die ihrem Schiff wehgetan haben.«
Armand nahm Danielles Hand in seine, als sie zu den Pferden gingen. »Erinnere mich daran, dass ich Botschafter Trittibar mit dir über Diplomatie sprechen lasse. Seid ihr wirklich in Hilad eingedrungen?«
»Nur ganz am Rand«, kam Schnee ihr zu Hilfe. »Und es waren nur wir drei. Und es gab auch kein Rauben oder Plündern oder sonst was in der Art.«
Talia hüstelte und sah weg. »Kann sein, dass ich ein paar Sachen erbeutet habe.«
»Vielleicht ist es am besten, wenn ich nichts davon erfahre«, meinte Armand.
Danielle beschleunigte ihre Schritte. Nach so vielen Tagen auf See war es ein eigenartiges Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, so sehr hatte sie sich irgendwann an die schaukelnden Bewegungen der Phillipa gewöhnt. »Wir brauchen eine Kutsche für Schnee. Sie ist verletzt, und Reiten wäre nicht gut für sie.«
»Ein Pferd geht in Ordnung!«, protestierte Schnee. »Ich bin geritten, seit ich fünf war!«
Danielle zeigte auf die Kaserne. »Wenn du mir sagen kannst, wie viele Pferde dort angebunden sind, dann darfst du dir eins davon aussuchen.«
Schnee schob sich den Hut aus der Stirn, kniff die Augen zusammen und bewegte stumm die Lippen. Sie machte ein Auge zu und dann wieder auf und dann das andere zu. »Ich glaube ... Es sieht aus, als ob da ... Ach, geh doch mit 'nem Drachen spielen!«
Armand befahl einer der Wachen, eine Kutsche bereit zu machen. Zu Schnee sagte er: »Ich werde Tymalous nach dir sehen lassen, sobald wir im Palast ankommen. Werden deine Verletzungen dich daran hindern, meiner Mutter zu helfen?«
Danielle warf einen Blick zurück aufs Schiff. »Wir sollten dafür sorgen, dass Morveren und Lannadae auch in -«
»Nein«, sagte Schnee. »Varisto hat recht, wenn er Morveren nicht traut. Ich kann Bea ohne ihre Unterstützung helfen.«
Der Art nach zu urteilen, wie Talia die Stirn krauszog, gefiel ihr diese Antwort nicht besser als Danielle. Sie hatten Schnee beide schon früher eine solche Entschlossenheit zum Ausdruck bringen hören. Sie würde tun, was immer sie musste, um Beatrice zu retten ... Egal, welchen Preis es von ihr forderte.
*
Als sie an der Kapelle ankamen, fanden sie Vater Isaac vor, der gerade versuchte, der Königin mit einem Löffel Fleischbrühe einzuflößen.
Die Königin war nie eine besonders große Frau gewesen, aber dies war das erste Mal, dass sie auf Danielle zerbrechlich wirkte. Ihr Gesicht war abgehärmt, die Wangenknochen vorstehend unter eingesunkenen Augen, aber es waren ihre
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