Die fiese Meerjungfrau
mit dieser Nadel einen Menschen töten, ohne dabei mehr als einen Tropfen Blut zu vergießen.«
»Ich nehme an, du strickst eine Garrotte?«
Schnees Stimme war schelmisch, doch ihre Augen waren blutunterlaufen, und aus ihren Lippen war fast sämtliche Farbe gewichen. Sie rieb sich in einem fort den Daumen und schmierte eine dünne Blutschicht über die Haut, obwohl sie sich dessen nicht bewusst zu sein schien. »Wann hast du zum letzten Mal eine Pause gemacht?«
»Beatrice kann nicht warten.« Schnee wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. »Sei keine solche Glucke!« Sie wandte sich wieder dem Messer und ihren Büchern zu.
Talias Nadeln klapperten in einem staccatoartigen Rhythmus, während sie Schnee beobachtete. Es dauerte nicht lange, da murmelte Schnee wieder vor sich hin. Es klang, als spräche sie allesandrisch. Die genauen Worte erkannte Talia nicht, aber der Ton war unmissverständlich.
Leise Schritte kündeten Danielles Eintreffen an. »Hat sie schon irgendwelche Fortschritte gemacht?«
»Woher soll ich das wissen?« Talia rollte ihre Strickarbeit zusammen und stieß die Nadeln ins Wollknäuel. »Gibt es etwas Neues von oben?«
»Nichts Gutes.« Danielle setzte sich neben Talia und sah zu, wie Schnee ein weiteres Buch durchblätterte und dabei die Seiten so grob umdrehte, dass das Papier Risse davontrug. »König Theodore hat mich gebeten, ihm im Thronraum Gesellschaft zu leisten. Sie haben den Kristall herausgeholt, und er hat sich mit anderen Regenten getroffen, um darüber zu sprechen, was wir erfahren haben.«
Talia nickte. Der Kristall war eine geschliffene Kugel von der Größe eines menschlichen Schädels, die so verzaubert war, dass sie es dem König ermöglichte, mit den Herrschern anderer Völker zu kommunizieren, ebenso wie mit seinen eigenen Edelleuten. »Was haben sie gesagt?«
»Es war schwer zu verstehen bei all dem Geschrei«, antwortete Danielle trübselig. »Sie waren nicht erfreut, von Hilads Verflechtung mit Lirea zu hören. Lyskar ist bereit, ihnen den Krieg zu erklären.«
Das ergab Sinn. Lyskar war zwar nicht so persönlich in Mitleidenschaft gezogen worden wie Lorindar, aber auch sie hatten Schiffe an die Undinen verloren.
»Lyskar hat Lireas Stamm vor drei Tagen für freie Überfahrt bezahlt«, fuhr Danielle fort. »Jetzt verlangen sie Erstattung von Hilad, sowohl für den Freikauf als auch für den Schaden an ihrer Flotte.«
Talia prustete. »Das haben die Hiladi bestimmt gern gehört!«
»Sie hätten sich wahrscheinlich gegenseitig Kriegsschiffe auf den Hals gehetzt, wenn Theodore sie nicht beruhigt hätte.« Geistesabwesend rieb Danielle mit dem Daumennagel an einem Fleck im Teppich. »Lord Montgomery versucht gegenwärtig, einige unserer Adligen für seine Sache zu gewinnen und dadurch Druck auf den König auszuüben, damit dieser sich Lyskar gegen Hilad anschließt.«
»Frag ihn mal, ob er derjenige sein wird, der den Angriff anführt!«, spöttelte Talia. »Das sollte ihm den Mund stopfen.«
»Es ist nicht nur der Adel, Talia. Die Kaufleute haben die Preise erhöht: Die Kosten für Lebensmittel haben sich in der vergangenen Woche verdoppelt. Wenn die Schiffslieferungen nicht bald wieder aufgenommen werden, könnte es im Volk zu Krawallen kommen.«
»Die Undinen sind alle mit der Fortpflanzung beschäftigt.« Talia zog eine der Nadeln aus der Wolle und ließ sie in den Fingern kreisen. »Wovor haben sie solche Angst?«
»Die meisten pflanzen sich fort«, antwortete Danielle. »Trotzdem haben sie noch drei weitere unserer Schiffe erwischt, darunter eins unten in Emrildale, das noch am Kai lag. Ähnliche Berichte haben wir aus Morova und Najarin erhalten. Meistens waren das die älteren Undinen und die ganz jungen, aber wenn sie erst einmal alle mit dem Laichen fertig sind -«
»Dann wird es noch schlimmer werden«, beendete Talia den Satz. Theodore musste wissen, was auf sie zukam, wenn Lirea nicht aufgehalten wurde. Kämpfe zwischen Hilad und Lyskar würden es Lirea nur erleichtern, sie alle zu vernichten.
»Ich weiß«, flüsterte Danielle.
Talia beneidete Danielle nicht um ihre Zeit oben. Sie selbst hätte es keine Stunde in einem Zimmer voller wütender, verängstigter Edelleute ausgehalten, ohne jemandem die Nase zu brechen. »Was beabsichtigt Theodore zu unternehmen?«
Die Antwort bestätigte ihre Erwartungen. »Niemand will Krieg, aber wir haben eine bessere Chance gegen Hilad als gegen die Undinen. Theodore wird den Kristall in
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