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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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nur den Weg nach vorn. Immer nur den Weg nach vorn, Vi, und dann heißt es: Kopf hoch und durch.‹« »Immer nur den Weg nach vorn«, wiederhole ich. »Und dann Kopf hoch und durch«, fügt sie hinzu.
    »Was für ein Mensch war er denn, dein Pa?«, frage ich.
    Sie senkt den Blick und von der Seite bemerke ich so etwas wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Er roch immer wie frisches Brot«, sagt sie, dann geht sie wortlos weiter.
    Aus dem Morgen wird Nachmittag, aber sonst bleibt alles gleich. Wenn wir können, rennen wir, und wenn wir nicht rennen können, gehen wir schnell. Wir ruhen uns nur dann aus, wenn es nicht anders geht. Der Fluss liegt immer noch ruhig und behäbig vor uns, so wie das braungrüne Land, das ihn umgibt. Hoch oben sehe ich Blaufalken, die lautlos schwebend auf ihre Beute lauern, aber das sind schon alle Anzeichen von Leben, die es hier gibt.
    »Was für ein leerer Planet«, sagt Viola, als wir uns niedersetzen, um hastig etwas zu essen. Wir lehnen uns an Felsbrocken und blicken von da aus auf ein natürliches Stauwehr.
    »Glaub mir, er ist voll genug«, erwidere ich und kaue auf einem Stück Käse herum.
    »Ich glaube dir. Ich wollte damit nur sagen, dass ich verstehen kann, weshalb die Menschen sich hier angesiedelt haben. Weites fruchtbares Ackerland. So viele Möglichkeiten, um ein neues Leben zu beginnen.«
    Ich kaue weiter. »Was für ein Irrtum.«
    Sie reibt sich den Nacken und betrachtet Manchee, der zumWehr hinübergelaufen ist und dort herumschnüffelt, vermutlich riecht er die Waldweber, die im Untergrund ihre Baue gegraben haben.
    »Wieso wird man hier mit dreizehn zum Mann?«, fragt Viola.
    Ich blicke sie überrascht an. »Was ?«
    »Diese Notiz«, sagt sie. »Ein Dorf wartet darauf, dass der letzte Junge zum Mann wird. Warum?«
    »Das ist schon immer so gewesen in New World. Es hat was mit der Heiligen Schrift zu tun. Aaron hat immer davon gefaselt, dass diese Feier den Tag symbolisiert, an dem man vom Baum der Erkenntnis isst und vom Stand der Unschuld in den der Sünde wechselt.«
    Sie blickt mich so seltsam an. »Das hört sich ja scheußlich an.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Ben sagt, der eigentliche Grund für die frühe Aufnahme in die Gemeinschaft ist, dass eine kleine Gruppe von Menschen auf einem einsamen Planeten so viele Erwachsene braucht wie möglich, deshalb fängt man mit dreizehn an, Verantwortung zu übernehmen.« Ich werfe einen Stein ins Wasser. »Frag mich nicht. Ich weiß nur, dass dreizehn die Grenze ist. Dreizehn Zyklen zu je dreizehn Monaten.«
    »Dreizehn Monate?«, fragt sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
    Ich nicke.
    »Ein Jahr hat aber nur zwölf«, sagt sie.
    »Nein, hat es nicht. Es hat dreizehn.«
    »Mag sein, dass es hier so ist«, erwidert sie. »Aber wo ich herkomme, sind es zwölf.«
    Ich kneife die Augen zusammen. »Dreizehn Monate in einem Jahr in New World«, sage ich und komme mir aus irgendeinem Grund ziemlich dumm vor.
    Sie sieht mich nachdenklich an. »Je nachdem, wie lange ein Tag oder ein Monat auf diesem Planeten dauert, könntest du also schon vierzehn Jahre alt sein.«
    »So geht das bei uns nicht«, sage ich ziemlich ernst, denn was sie sagt, passt mir nicht. »In siebenundzwanzig Tagen werde ich dreizehn.«
    »Vierzehn Jahre und einen Monat in der alten Welt, um genau zu sein«, fährt sie fort. »Wie soll man da sicher sein, wie alt jemand ist ...«
    »Siebenundzwanzig Tage bis zu meinem Geburtstag«, sage ich entschieden. Ich stehe auf und schultere meinen Rucksack. »Komm jetzt. Wir haben keine Zeit zum Plaudern.«
    Die Sonne ist schon unter die Baumwipfel gesunken, als wir das erste Zeichen von Menschenhand sehen: eine verlassene Wassermühle am Flussufer, das Dach ist vor wer weiß wie vielen Jahren abgebrannt. Wir laufen nun schon so lange, dass wir kein Wort sagen, uns nicht einmal nach möglichen Gefahren umsehen, sondern einfach hineingehen, unser Gepäck gegen die Wand lehnen und uns dort, wo wir gerade stehen, auf den Boden fallen lassen, als hätten wir das weichste aller Betten gefunden. Manchee, der nie müde zu werden scheint, springt herum, hebt das Bein an sämtlichen Pflanzen, die durch die rissigen Holzbretter emporgewachsen sind.
    »Meine Füße.« Ich ziehe die Schuhe aus und zähle fünf, nein sechs Blasen.
    Viola stößt einen erschöpften Seufzer aus. »Wir müssen schlafen«, sagte sie. »Egal, was ist.«
    »Ich weiß.«
    Sie schaut mich an. »Du kannst sie doch hören«, sagt sie. »Falls sie überhaupt

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