Die Flüchtlinge
Ahnung.“
„Um was geht’s denn dann überhaupt?“
Hoku ließ sich nieder und legte die Beine ebenfalls auf den Tisch. Sie und Quilla sahen einander über ihre Zehen hinweg an.
„Ich glaube nicht, daß ihr einander nicht heiraten solltet“, sagte Hoku. „Ich glaube eher, daß du eine Vorstellung von ihm hast, die zu einem Viertel aus dem wirklichen Tabor Grif besteht, während die restlichen Viertel aus dem bestehen, wie du ihn gerne hättest. Das hat mit dem, was Tabor zu sein glaubt oder sein möchte, wenig zu tun. Wenn du vorhast, dein Leben in Zukunft mit einem Partner zu verbringen, solltest du zumindest wissen, was du tust.“
„Ich kenne seine Fehler.“
„Es ist keine Frage der Fehler. Es ist eine Frage der Erwartungen.“
„Wir haben alle unsere Erwartungen.“
„Davon sind einige realistischer als andere. Und unter diesen Umständen sollte Tabor dich besser nicht heiraten.“
Quilla stellte die Füße auf den Boden. „Hart sagt, daß Mish und Tabor etwas miteinander hatten. Daß sie vielleicht noch etwas miteinander haben.“
„Hart besitzt anstelle eines Gehirns einen bösartigen Computer. Sie hatten nie etwas miteinander.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Ich bin schließlich Ärztin. Mehr brauchst du nicht zu erfahren.“
Quilla rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. „Ich dachte, daß Tabor mich vielleicht nur deswegen heiraten will, weil er Mish nicht näherkommen kann.“
Hoku schürzte die Lippen. „Nah, aber nicht nah genug. Er ist nicht in Mish verliebt; nicht mehr. Nicht ein kleines bißchen. Tabor liebt euch alle, jeden Kennerin, der hier herumläuft. Außer Hart, ich bin sogar bereit, das zuzugeben.“
Quilla hielt die Luft an. Sie marschierte zum Spülbecken, füllte sich ein Glas mit Wasser und kehrte damit an den Tisch zurück.
„Mit anderen Worten, Tabor liebt mich nur deswegen, weil ich eine Kennerin bin. Das heißt, er findet mich auch nicht anziehend, und im Grunde geht es gar nicht um mich!“
„Ist es wichtig, anziehend zu sein. Hübsch? Ich bin’s schließlich auch nicht.“
„Ich bin einundzwanzig, Hoku! Ich möchte eben nicht häßlich sein!“
„Du bist nicht häßlich. Du bist manchmal dumm, aber nicht häßlich.“
„Reden Sie mir nichts ein. Ich weiß, wie ich aussehe.“
„Das weißt du eben nicht. Du schaust in den Spiegel und erwartest, darin Taine zu sehen; und wenn du sie nicht siehst, bist du sauer. Du bist nicht hübsch, aber du bist auch nicht häßlich. Du bist Quilla, das ist alles. Außerdem geht es gar nicht darum.“
„Um was denn?“
„Wie, zum Henker, soll ich das wissen?“ Hoku lachte. „Ich will doch nur, daß du über dich nachdenkst, das ist alles.“
„Krieg ich nun meine Behandlung?“
„Willst du heiraten?“
„Ich weiß es nicht!“
„Also noch einmal von vorne. Das ist es, was ich an euch Kennerins nicht ausstehen kann: Wenn ihr stur seid, könnt ihr ein Maultier zur Verzweiflung treiben!“
Hoku ging an ihren Instrumentenschrank, öffnete eine Schublade und kehrte mit einem Skalpell in der Hand zurück.
„Nun mach schon“, sagte sie. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
Quilla schob ihren Stuhl an den Behandlungstisch heran, nahm Platz und legte den Arm auf die Platte. Hoku tippte mit dem Finger auf ihren sonnengebräunten Unterarm. Dann runzelte sie die Stirn, sprühte ihn mit einem Anästhetikum ein und machte einen kleinen Einschnitt. Sie förderte eine winzige Kapsel zu Tage, legte sie auf die Tischplatte und verschloß den Einschnitt mit zwei Stichen. Quilla betastete ihren Arm.
„Warte mindestens eine Woche, bis dein Körper sich daran gewöhnt hat“, sagte Hoku. „Dann wirst du fruchtbar sein.“
Quilla zog den Ärmel herunter und knöpfte ihn am Handgelenk zu. „Was schulde ich Ihnen?“
„Eure schwarzen Johannisbeeren sind reif, was? Ich könnte ein bis zwei Kilo gut gebrauchen.“
„Ich schicke Meya heute nachmittag damit herunter. Sonst noch was?“
„Ein Versprechen.“
Quilla sah die Ärztin schweigend an.
„Du hast nicht mehr als dich selbst, Quilla. Alles andere ist außerhalb von dir. Du hast nur deinen Körper und deinen Geist. Du kannst dich zwar dann und wann an jemanden verleihen und versuchen, das eine oder andere Stück von dir unter die Leute zu bringen, aber du solltest nicht vergessen, daß du nicht mehr hast als dich selbst. Du solltest deshalb sorgsam mit dir umgehen.“
„In Ordnung.“
„Versprich es.“
„Ich bin kein Kind mehr, Dr.
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