Die Formel der Macht
lieferte.
Als das Auto nicht anhielt und niemand kam, um nach ihr zu sehen, richtete sie sich ganz langsam wieder auf, entschlossen, noch einen Blick auf ihre Peiniger zu riskieren. Obwohl es gefährlich war, musterte sie den Mann, den sie am besten erkennen konnte, eingehend, wobei sie versuchte, sich seine breite Stirn, die in einem merkwürdigen Kontrast dazu stehende Stupsnase und die fleischigen Lippen genau einzuprägen. Dann ließ sie sich leise und behutsam wieder zurücksinken.
Sie war gerade dabei, sich selbst zu ihrem Erfolg zu gratulieren, als sich ein neues erschreckendes Problem auftat. Wie um Himmels willen sollte sie ihren Kopf wieder unter die Kapuze bekommen? Mit den gefesselten Händen würde es weitaus schwieriger werden, als sie herunterzuziehen. Die einzige Lösung, die ihr einfiel, war, die Kapuze, die jetzt nichts mehr als ein formloses Stück Stoff war, dicht vor ihrem Kopf auf den Boden zu legen und dann zu versuchen, sie sich irgendwie um den Kopf zu wickeln.
Sie verschwendete mindestens eine halbe Stunde und wertvolle Energiereserven auf diesen Versuch, ehe sie schließlich aufgab und sich eingestand, dass es ihr auf diese Weise nie gelingen würde, ihren Kopf unter die Kapuze zu bekommen. Sie suchte verzweifelt nach einer anderen Lösung, aber ihre Denkfähigkeit wurde von den Wellen der Übelkeit, die erneut über sie hinwegschwappten, stark beeinträchtigt. Sie war kurz davor, wieder ohnmächtig zu werden, als sie abrupt hochschrak, weil der Van abgebogen und sie mit der Schulter schmerzhaft gegen einen der Stahlträger geprallt war, die die Rückbank abstützten.
Der Minivan verlangsamte seine Fahrt, dann bog er ab, und plötzlich begannen die Entführer miteinander zu sprechen. Und zwar auf Portugiesisch, wie sie schockiert feststellte. Sie verstand zwar einzelne Wörter, doch längst nicht genug, um begreifen zu können, worum es ging. Aber warum Portugiesisch? Jetzt hatte sie Mühe, an dem Bild, das sie sich von den Entführern gemacht hatte, festzuhalten. Sie war in die Klischeefalle getappt, indem sie ganz automatisch angenommen hatte, dass es sich bei ihnen um Fundamentalisten handelte, die einen leidenschaftlichen Hass gegen die amerikanische Politik im Nahen Osten hegten. Doch das stimmte offensichtlich nicht. Aber warum um Himmels willen sollten Leute aus Portugal oder Brasilien sie entführen wollen? Sie war keine große politische Leuchte, aber sie konnte sich absolut keinen Grund vorstellen, der irgendwelche radikalen portugiesischen oder brasilianischen Gruppen in eine derart scharfe Opposition zu der amerikanischen Regierung brachte, dass sie, um sich Gehör zu verschaffen, die Tochter eines Ministers entführen und gefangen halten mussten.
Und doch war der Grund, der diese Leute antrieb, im Moment viel weniger wichtig, als dass sie diese Kapuze wieder auf ihren Kopf bekam. Portugiesen, Brasilianer oder Marsmenschen, es spielte keine Rolle. Sie würde böse Schwierigkeiten bekommen, wenn sie nach ihr schauten und merkten, was sie getan hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich, und schließlich kam ihr die Erleuchtung. Summer nahm das Tuch zwischen die Zähne, ließ es über den Hebel fallen und versuchte dann, den Kopf von unten durch die Öffnung zu schieben. Die Kapuze bedeckte bereits Augen und Nase, aber noch nicht den Mund, als das Auto stehen blieb – und ihr Herz gleich mit.
Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, dann würden die Kidnapper nach ihr sehen. Summer sah sich genötigt, ihre fruchtlosen Versuche, sich die Kapuze mittels des Hebels noch weiter nach unten zu ziehen, aufzugeben. Deshalb ließ sie alles so, wie es war, legte sich schnell hin und rollte sich auf die Seite. Wenn die Entführer die Klappe öffneten und sie von hinten mit auf dem Rücken gefesselten Händen und der Kapuze, die nur zwei Drittel des Kopfs bedeckte, sahen, würden sie mit ein bisschen Glück vielleicht annehmen, dass sie, während sie ohnmächtig war, im Auto hin- und hergeschleudert worden war und so irgendwie der Verschluss an der Kapuze aufgegangen war.
Jetzt öffneten sich die Vordertüren, und sie hörte, wie die Männer ausstiegen. Kies knirschte unter ihren Schuhen. Bewegungslos verharrte sie und wartete, bis die hintere Tür aufgerissen wurde.
Bitte, lieber Gott, lass sie glauben, dass ich schlafe. Oder besser noch, dass ich ohnmächtig bin.
Einer der Kidnapper rollte sie auf den Rücken. Dabei rutschte die Kapuze ein Stück hoch, aber sie blieb dennoch wie
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