Die Frau an Seiner Seite
kann den Reisenden nicht ganz verborgen geblieben sein. Würde man Einblick in Kohls Stasi-Akten bekommen – was mir leider verweigert wurde –, könnte man bestimmt Beobachtungsberichte lesen, die im Minutentakt von inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern angefertigt wurden und sicherlich eine reichlich bebilderte Reportage vom gesamten Reiseverlauf studieren. Meine eigenen vielfachen Erfahrungen mit Akten des DDR-Geheimdienstes legen dies nahe.
Darüber gesprochen hat sie mit mir dagegen nie. Allerdings hatte sie eine eher belanglose Beobachtung nachdenklich gestimmt. Auf dem Weg zur Wartburg in Eisenach fiel ihr auf, was sie zuvor schon unterschwellig gespürt hatte. Die Menschen drüben waren stiller und verhaltener als die westdeutschen Touristen. Woran das gelegen haben könnte, darüber verlor sie kein Wort. Etwas blauäugig bemerkte sie, dass sie sich auch ohne offizielle Reisebegleitung frei in der DDR bewegen konnten. Innerhalb von nur 14 Tagen war der prominenten Familie aus Ludwigshafen die Einreise ins »andere Deutschland« genehmigt worden, über die die offiziellen Stellen selbstverständlich unterrichtet waren. Die Abfertigung an der Grenzübergangsstelle bei Wartha habe nur wenige Minuten gedauert. Gleiches galt für die Ausreise. Dass den Kohls, die mit schwarzer Dienstlimousine unterwegs waren, dabei eine Vorzugsbehandlung zuteil geworden war, die »normale« Menschen nicht für sich in Anspruch nehmen konnten, scheint sie ausgeblendet zu haben. Hannelore nahm jedenfalls die Überzeugung mit nach Hause, dass die Menschen in der Bundesrepublik so häufig wie möglich die Reisemöglichkeiten nutzen sollten. Das stärke das Zusammengehörigkeitsgefühl und schaffe Verständnis für die gegenseitigen Probleme, meinte sie in einem Zeitungsbeitrag.
Anderthalb Jahre später reiste der Kanzlerkandidat der CDU/CSU mit seiner Familie nach der verlorenen Bundestagswahl 1976 erneut privat in die DDR. Diesmal gehörten Kohls außenpolitischer Berater Horst Teltschik und seine Bürochefin seit 1965 – Juliane Weber – zu der Reisegruppe, die in einem Zweitwagen Kohls Dienstmercedes folgte. Für Hannelore eine willkommene Abwechslung. Es war ihre Idee, auch in späteren Jahren die DDR privat zu besuchen. Von Zeit zu Zeit verspürte sie einfach das dringende Bedürfnis, die Stätten ihrer Kindheit wiederzusehen. Im Herzen blieb Hannelore ihr ganzes Leben lang eine Ostdeutsche, eine Leipzigerin, die gerne sächsisch sprach und auch nach Jahrzehnten nicht wirklich in der Pfalz angekommen war. Dort blieb sie eine Fremde bis zu ihrem Tod 2001.
KARRIEREBEGLEITUNG
Spätestens seit Helmut Kohls Wahl zum Bundesvorsitzenden der CDU auf dem Bonner Parteitag 1973 musste Hannelore damit rechnen, dass ihr Mann in naher Zukunft von der Landes- in die Bundespolitik wechseln würde. Die ständige Präsenz in Bonn gehörte längst zum Alltag des Pfälzers, der nicht nur wegen der freitäglichen Sitzungen des Bundesrates dort sein Land vertreten musste. CDU-Präsidium und -Vorstand kamen jeden Montag ebenfalls in Bonn zusammen und beiden Spitzengremien stand der Mainzer Ministerpräsident vor. Der zeitliche Aufwand für die Parteiarbeit stieg weiter an, Kohl war gefragt, trat auf zahlreichen Landesparteitagen auf und war gern gesehen auf Veranstaltungen der bayerischen Schwesterpartei CSU.
Für Helmuts bundespolitische Pläne war ausschlaggebend, wie erfolgreich die Bilanz seiner Landespolitik ausfiel. Seit 1969 Regierungschef in Mainz, hatte Kohl bereits in kurzer Zeit den Nachweis erbracht, eine reformorientierte Politik in seiner oft abschätzig als »Land der Reben und Rüben« bezeichneten Heimat durchsetzen zu können. Wer aber Spitzenmann in einer Partei bleiben und bundespolitisch agieren wollte, musste auch Wahlen gewinnen.
Am 9. März 1975 waren drei Millionen wahlberechtigte Rheinland-Pfälzer aufgefordert, über die Zusammensetzung des Landtages zu entscheiden. Schlechte Umfragewerte und die Gefahr einer eher niedrigen Wahlbeteiligung ließen Böses ahnen. Der Mainzer Spitzenkandidat setzte alles auf eine Karte und mobilisierte die Partei wie selten zuvor. Kohl stellte die besonderen Anstrengungen seines Kabinetts im Bereich von Kunst und Kultur, seine Bürgernähe, die Verdienste um die Verwaltungsvereinfachung sowie Schulgeldfreiheit und die starken Investitionen in die innere Sicherheit in den Mittelpunkt des CDU-Wahlkampfes. Mit dieser klaren inhaltlichen Ausrichtung kamen er und seine Partei an. Zur eigenen
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