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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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und reglos neben ihm, in Gedanken immer noch bei dem abergläubischen Sammelsurium,
     das ihr Gatte angehäuft hatte.
    Wie seltsam, dass ein Mensch zwei so ganz verschiedene Gesichter haben konnte! Vor allem im ersten Jahr ihrer Ehe hatte sie
     ihren Gatten als einen fröhlichen Phäaken kennengelernt, einen Mann, der sich gern bei harmlosen Vergnügungen von seiner Arbeit
     entspannte. Sie waren auf dem Winterdom auf dem Heiligengeistfeld gewesen und hatten sich bei heißen Würstchen, Orangenpunsch
     und Lebzelten vergnügt wie die Kinder. Auch den Karneval hatten sie gefeiert, gesittetzwar, wie es dem würdigen Apotheker anstand, aber es war doch sehr amüsant gewesen. Sogar ein Maskenball war im Theatersaal
     des Hauses veranstaltet worden. Freilich erlaubte Raoul seinen Gästen keinen frivolen oder gar geschmacklosen Mummenschanz.
     Die Besucher kamen in Ballkleid und Abendanzug, aber ihre Gesichter waren mit kunstvollen Halbmasken aus Federn, Tüll und
     Strass verhüllt. Figuren der Commedia dell’arte mischten sich unter die Gäste und spielten ihnen allerhand possierliche Streiche.
     Louise selbst war in einem mit Rosenknospen übersäten weißen Ballkleid erschienen, mit einem Kranz Treibhausrosen auf dem
     kupferroten Haar, was beinahe zu einem empfindlichen Fauxpas geführt hätte. Da sie nämlich fürchtete, das Dunkelrot der Rosen
     würde sich mit ihrem roten Haar schlagen, hatte sie weiße gewählt. Glücklicherweise hatte eine bestürzte Zofe ihr noch rechtzeitig
     klargemacht, dass weiße Rosen Kirchhofrosen waren und keinesfalls zu einer Festlichkeit getragen werden durften, wollte man
     nicht Unheil heraufbeschwören. Im allerletzten Augenblick hatte sie den Kranz ausgewechselt und doch die roten Blüten getragen.
    Wie lustig war es damals gewesen! Raoul hatte sich in seiner würdigen und behäbigen Art bestens unterhalten und war nach dem
     Ball in einer solchen Champagnerlaune, dass er sich heißblütig wie ein Jüngling benahm. Sie lächelte bei der Erinnerung. Es
     war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen er sich im vollen Sinn als Gatte erwiesen hatte. Aber welcher Unterschied zu
     der Leidenschaft eines Jünglings!
    Sie schlief ein und erwachte Stunden später in einem leeren Bett. Inzwischen war es draußen hell geworden, und die ersten
     Droschken ratterten über den Jungfernstieg.
    Louise kroch aus dem Bett, wickelte sich in ihren Morgenmantel,nahm das letzte Scheit aus dem Korb und legte es in den Kamin. Sie schürte das Feuer mit dem Haken, bis die Flammen gefährlich
     hoch züngelten. Während sie dem Flackern zusah, versank sie in Gedanken.
    So seltsam, so berauschend war das Gefühl, das an diesem Morgen in ihr aufgebrochen war! Nein, es war noch mehr als ein Gefühl,
     es war ein Bewusstsein. Sie wollte den Thesaurus. Sie wollte die Apotheke. Sie sehnte sich mit Leidenschaft danach, beides
     ihr Eigen zu nennen. Wie man an einem Sonnentag vom Michel herab ganz Hamburg überblicken konnte, so lag nun ihr Leben als
     Apothekergattin vor ihr ausgebreitet, und deutlich zeichnete sich darin ein Weg ab, der vom ersten kindischen Entzücken an
     der Apotheke zu dem leidenschaftlichen Wunsch führte, sie zu besitzen und zu leiten – mochte sie auch noch so viele Hürden
     zu nehmen haben.
    Sie musste an den Entschluss denken, den sie heute Nacht in der grotesken Umgebung des Thesaurus gefasst hatte. Sie würde
     nicht zulassen, dass man ihr die Apotheke einfach wegnahm. Sie würde sie behalten, selbst wenn sie geschlossen bleiben musste.
     Was ihr gehörte, ließ sie sich nicht wegnehmen. Um ihren Traum zu verwirklichen, musste sie erreichen, dass die Konzession
     an Sigmund Schlesinger vergeben wurde. Wie sie das schaffen sollte, wusste sie freilich nicht. Der Magister hatte recht: Tüchtigkeit
     allein zählte nicht. Es brauchte Protektion. Und sie kannte niemanden, der Schlesinger diese Protektion auf ihre Fürbitte
     hin hätte gewähren können.
    Ein Pochen an der Tür riss Louise aus ihren Gedanken. Frederick trat ein und setzte sich zu ihr auf die Chaiselongue. Er lächelte
     sie an. »Du siehst so zufrieden aus«, sagte er. »Bist du schon lange wach? Hast du etwas Schönes geträumt?«
    »Viel besser! Ich bin überzeugt, dass ich jetzt meine Unschuldbeweisen kann«, entgegnete sie und fuhr fort: »Ich habe mich heute Morgen an etwas erinnert. Mir fiel die rote Scheibe ein,
     die der Polizist in Raouls Morgenmantel fand. Sie gehört zu einer Schatulle, die Raoul versteckt

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