Die Frau des Polizisten
sein.«
Sie atmete heftig.
»Aber er schien nichts von dem, was da vor sich ging, zu begreifen. Oder … vielleicht hat er ihr die Lügen auch abgenommen. Weil er es nicht wahrhaben wollte. Weiß der Teufel«, ergänzte Vanja.
Erika und Per tauschten einen schnellen Blick. Zum ersten Mal entfuhr dieser blassen Frau ein Kraftausdruck.
»Hmm, ich verstehe«, sagte Erika nachdenklich. »Michverwirrt allerdings ein bisschen, dass ich keine persönlichen Aufzeichnungen oder ein Tagebuch von Barbro finden kann. Auf mich wirkt sie wie ein Typ, der Tagebuch schreibt, meinen Sie nicht?«
»Keine Ahnung«, stieß Vanja aus. Sie wurde so bleich, als ob jegliches Blut aus ihrem Gesicht gewichen sei.
»Sind Sie sicher?«
Vanja nickte heftig. Erika ließ von ihr ab. Ein Tagebuch hätte ihnen vielleicht Antworten geben können. Vielleicht auch nicht. Ein Tagebuch enthielt ja nicht zuletzt die persönlichsten Gedanken eines Menschen. Träume. Manchmal auch Wunschträume.
»Ich habe nur noch eine Frage«, sagte Erika sanft. »Es scheint, dass Barbro Mitglied in einem geheimen Club gewesen ist. In dem Rollenspiele veranstaltet wurden. Ist das etwas, das Sie …«
Vanja keuchte auf und schlug die Hände vor das Gesicht. Nach einer Weile hörten sie ein langgezogenes, klagendes Schluchzen. Erika warf Per einen fragenden Blick zu. Er nickte und gab ihr ein Zeichen weiterzumachen.
»Sie wussten davon?«, fragte Erika vorsichtig.
Vanja nickte laut schluchzend. Erika reichte ihr ein Taschentuch. Sie nahm es dankbar entgegen, trocknete sich die Augen und schnäuzte sich lautstark.
»Sie wussten, dass ich …« Vanja sah betreten zwischen ihnen beiden hin und her. Per nickte ernst, und Erika biss sich auf die Lippen, um zu verhindern, dass ihr Mienenspiel Pers Bluff verriet. Vanja stöhnte laut auf, ihre Schultern sanken hinab, und sie starrte entmutigt auf das zerknüllte Papiertuch in ihrer Hand. Sie räusperte sich und sah schließlich mit puterrotem Gesicht zu Erika auf.
»Ich wollte zuerst nicht. Aber Barbro kann ziemlich überzeugendsein. Sie hat mich ein paar Mal dorthin mitgenommen. Wenn man von einem Mitglied eingeladen wird, darf man probeweise mit. Sind dann alle einverstanden, wird man aufgenommen.« Sie atmete tief ein, um sich zu sammeln. Die sonst so blassen Augen waren dunkel und traurig.
»Es war peinlich, anstrengend. Aber gleichzeitig ziemlich aufregend.« Sie schluckte hart und warf Per einen flammenden Blick zu, der konzentriert auf sein Handy starrte und sie nicht zu hören schien.
»Es waren schicke Räumlichkeiten, mit schön gedeckten Tischen und gepflegtem Essen«, fuhr Vanja beinahe flüsternd fort. »Die Gäste mussten servieren und die anderen bedienen. Durften selbst aber nur zuschauen.« Vanjas Gesicht brannte, ihre Hände zitterten stark.
»Es gab eine Rangordnung; die meisten Frauen mussten untertänig, gehorsam sein, tun, was man ihnen sagte. Ich …« Vanjas Stimme verlor sich. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen; sie liefen die brennendroten Wangen hinunter.
»Sie ließ mich glauben, dass sie an mir interessiert war. Dass sie und ich …« Vanja schluchzte.
»Aber so war es nicht«, sagte sie verbittert und sah Erika anklagend an. »Sie hat mich wie alle anderen hinters Licht geführt …«
Kapitel 44
Helene maß die staubige Kalkmischung ab. Weiße Wölkchen stoben mit jeder Kelle auf, die sie aus der Tüte schaufelte, und segelten in der kalten Luft wie gefrorene Atemluft davon – geradewegs in Richtung Kai Andrées bombastischer Villa. Sie rührte mit Hilfe eines Bohrmaschinenquirls den Kalk in einem großen Eimer mit Wasser an. Das monotone Geräusch hallte in der Senke wider.
Nach einer Weile stellte sie die Maschine ab, richtete sich auf und betrachtete das Haus ihres Nachbarn. Alle Fenster waren erleuchtet, auch die Lampen an der Fassade, am Eingang, an den Hauswänden brannten. Sie lächelte leise in sich hinein. Einar, der ältere Mann, der in einem der beiden Sommerhäuschen direkt am Meer wohnte, hatte gemeint, die Villa gliche einem riesigen Raumschiff, das eine Notlandung hingelegt habe. Aber bald würden auch die anderen Eigenheime an dem Straßenende bewohnt und erleuchtet sein, ebenso das ihre – selbst wenn sie dann nicht mehr hier sein würde. Noch maximal einen Monat, dann würde sie das Haus verkaufen. Zwar noch nicht ganz fertiggestellt und ohne dass die Bodenarbeiten erledigt waren, aber doch in einem Zustand, dass sie das Geld bekam, das sie
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