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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Pilgers, der von Rittern seiner Pilgerinsignien beraubt worden war, erzählt hatte, versprach der Geistliche, ihm eine Unterkunft zu besorgen. Thiderichs Gewissensbisse wegen der notwendigen Lüge hielten sich tatsächlich in Grenzen – was ihm wiederum ein schlechtes Gewissen bereitete. Doch ganz offensichtlich kam es hier nicht selten vor, dass sich einzelne Pilger verirrten und auf die Hilfe der Dorfbewohner angewiesen waren. Geübt führte ihn der Kirchenmann zu einem dem Gotteshaus nahe gelegenen Hof. Der stille Bauer wiederum geleitete ihn weiter in den Stall seiner Ziegen.
    Das frisch aufgeschüttete Stroh sah weich und einladend aus, und Thiderich ließ sich sogleich darauffallen. Als eines der Bauernkinder sogar noch mit etwas zu essen kam, war sein Glück vollkommen.
    Auch Millie durfte mit hinein in den niedrigen Stall. Mit mächtigen Bissen hieb sie ihre Zähne in das duftende Stroh, bis der Boden fast kahl war.
    Thiderich befürchtete, dass sie das Stroh unter seinem Körper wohl auch fressen wollte, und band sie kurzerhand an einem Balken an. Seit dem Teufelsritt vor wenigen Tagen traute er der Stute so einiges zu. Auch, dass ihr wohl jedes Mittel recht war, um noch den letzten Halm unter ihrem Reiter zu bekommen; wenn nötig mit Tritten und Bissen. Kurz darauf fiel Thiderich in einen tiefen Schlaf. Er erwachte erst spät am nächsten Tage, als der kleine Sohn des Bauern ihn mit scheuen Handbewegungen und fremden Worten ins Haus bat.
    Die Familie begrüßte ihn herzlich, doch ein Gespräch kam aufgrund der sprachlichen Unterschiede nicht zustande. Nachdem sie ihm einen Becher Met in die Hand gedrückt hatten, trat plötzlich ein blonder Junge in die Bauernküche.
    Vollkommen selbstverständlich begrüßte er Thiderich in dessen Sprache. Er selbst hieß Walther, und es stellte sich heraus, dass er eigens vom Pfarrer für Thiderich geschickt worden war, damit er ihm den richtigen Weg weisen konnte. Präzise erklärte er ihm, wie und wo er von hier aus am schnellsten über die Weser gelangen konnte. Während sie beide redeten, platzierte die gute Bauersfrau noch eine Schüssel mit Rübensuppe vor ihnen. Jetzt konnte Thiderich es nicht mehr leugnen, sein schlechtes Gewissen wegen der Pilgerlüge war mittlerweile gewaltig. Wortreich und mit umständlichen Gesten versuchte er ihr zu danken. Die fast Zahnlose lachte und nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.
    Thiderich lächelte zurück und genoss danach das warme Gefühl in seinem Bauch. Seit er Walther in der vom Ruß der Kochstelle geschwärzten Bauernküche gegenübersaß, drängte es ihn, sich zu erkundigen, wer die gestrigen Ritter gewesen waren. Er gab sich einen Ruck und fragte: »Auf meiner Reise haben kürzlich Ritter meinen Weg gekreuzt. Sie nahmen mir fast all meine Habe mitsamt meiner Pilgertasche und …«
    Sein Gegenüber wartete erst gar nicht, bis Thiderich zu Ende gesprochen hatte. »Ritter? Meint ihr die rohen Kerle des Grafen von Oldenburg? Pah, der Teufel soll sie alle holen!«
    Streng gebot der Bauer ihm Einhalt. Augenscheinlich verstand er doch mehr, als er zugeben wollte. Nach einem reumütigen Blick Walthers erlaubte der Bauer dem Blonden dann doch zu erzählen. Die strenge Maßregelung war jedoch Anlass genug für den Jungen, fortan in einem leiseren Ton und mit angemesseneren Worten zu sprechen. »Ihr seid hier im Stedinger Land, mein Herr. Dieses Land hat eine lange Geschichte. Vor vielen Jahren waren die Stedinger einmal freie Bauern. Sie konnten selbst über ihr Leben bestimmen und waren niemandem verpflichtet. Aber die Adeligen des Landes haben uns diese Rechte gestohlen und die Kreuzritter Tausende von uns ermordet. Seither lassen die Herren nichts unversucht, unseren stolzen Willen zu brechen. Aber eines sage ich Euch; im Herzen sind wir noch immer frei und werden es auch immer sein.«
    Der Bauer nickte kaum erkennbar und löffelte seine Suppe.
    Thiderich konnte spüren, wie tief die Wunden waren, und bohrte deshalb nicht weiter nach, obwohl er viele Fragen gehabt hätte. Kurz darauf verabschiedete sich Walther und gab somit auch für Thiderich den Anstoß, die Weiterreise anzutreten. Frisch gestärkt verließ er das Bauernhaus und holte Millie aus dem Ziegenstall, die zur Begrüßung ein freundliches Wiehern für ihn ausstieß. Auf dem Hof übergab die Bäuerin ihm noch ein Bündel mit Brot und Käse für die Reise. Ganz offensichtlich hatten die frommen Leute Mitleid mit dem Fremden ohne Orientierung und seinem

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