Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Nein, wie es jetzt ist, wird es bleiben; es ist besser so. Für mich und für die Kinder.«
Hildegard stutzte. Aus diesem Blickwinkel hatte sie die Geschichte noch nicht betrachtet. Seit dem Belauschen der Männer und ihrem Eintreffen hier im Kloster war nicht viel Zeit vergangen, in der sie darüber hätte nachdenken können. »Möglicherweise hast du recht, und es ist tatsächlich besser so für dich und die Kinder, aber mein redliches Herz kann das kaum ertragen.«
Obwohl sie es langsam einsah, wollte dennoch alles in Hildegard rebellieren. Gab es denn keine Gerechtigkeit mehr? Konnten sie wirklich gar nichts tun? Doch egal, in welche Richtung die Frauen die Geschichte drehten und wendeten, es schien aussichtslos. Sehr wahrscheinlich würde niemand einem für verrückt erklärten Weib Glauben schenken, das einen Kirchenmann, zwei Ratsherren, deren Frauen und eine Beginen-Schwester des Verrats bezichtigte – vielleicht wäre das sogar Ragnhilds Tod!
Die Frauen sahen einander an. In ihren Blicken war nun Einvernehmen und Mitgefühl zu lesen. Sie umarmten sich herzlich zum Abschied. Dann brachte Ragnhild Hildegard unbemerkt zurück zum Tor des Klosters.
8
Alle drei Männer hatten die Strapazen der Reise weit unterschätzt. Nachdem sie die Hütte der alten Frau verlassen hatten, dauerte es nur einen einzigen Tag, bis Thiderich und Albert diese Entscheidung im Stillen bereits bereuten. Dennoch hätte keiner von ihnen es je als Erster zugegeben.
Sie waren schon ein ziemlich lädierter Haufen, dachte Walther spöttisch, während er einen Blick auf seine zwei Gefährten warf. Mit schmerzverzerrten Gesichtern und in gebückter Haltung saßen sie auf ihren Pferden; Albert auf seinem Rappen und Walther selbst mit Thiderich auf Millie. Immer dann, wenn die Stute müde wurde, tauschte Walther entweder das Pferd oder ging eine Weile zu Fuß.
Bereits vor drei Tagen waren sie an der Weggabelung vorbeigeritten, wo Walther eigentlich hätte absteigen und in Richtung seines Heimatdorfes Sandstedt weitergehen müssen, doch er hatte sich anders entschieden. Der bloße Gedanke daran, nach den erlebten Abenteuern wieder in sein Dorf heimzukehren und sein altes Leben fortzusetzen, löste einen dermaßen großen Schauder in ihm aus, dass ihn die Gefahren der bevorstehenden Reise und die Ungewissheit der Zukunft nicht hatten abschrecken können. Er wollte mit Albert und Thiderich nach Hamburg reiten – komme danach, was wolle. Zu seiner Freude spürte er, dass den Männern seine Entscheidung sehr willkommen war, denn mittlerweile verband die drei eine tiefe Freundschaft. Außerdem wurde die Reise durch den dritten Reiter auch nicht verzögert, denn weder Albert noch Thiderich waren derzeit in der Lage, schneller zu reiten als Schritt. Jede zusätzliche Erschütterung durch eine schnellere Gangart hätte unerträgliche Schmerzen bei den beiden Verletzten ausgelöst. So kam es, dass die Tage langsam und mit einem immer gleichen Viertakt in den Ohren verstrichen. Es wurde nur wenig gesprochen. Ein jeder hatte genug mit sich selbst zu tun.
Um ungewollte Zusammentreffen mit Plackern oder Wegelagerern zu vermeiden, wichen sie auf die kleineren Nebenstraßen aus. Es war einfach zu offensichtlich, dass sie in ihrem jetzigen Zustand leichte Beute waren. Glücklicherweise waren die Tage bisher ohne Zwischenfälle verlaufen.
Sie hatten die Burg Vörde bereits hinter sich gelassen, als ihnen plötzlich ein altersschwacher Wagen mit einem Ochsen davor entgegenkam. Der Wagen war geschmückt mit allerlei bunten Stofffetzen, und sogar der Bulle hatte farbige Bänder um seine Hörner. Schon von Weitem konnten die drei Reiter sehen, dass es sich um Mitglieder des fahrenden Volkes handelte. Solchen Leuten war in der Regel mit Vorsicht entgegenzutreten. Nicht umsonst wurden sie allerorts gleichermaßen geächtet und verehrt. Waren es Künstler, die ihr Handwerk verstanden, dann brachten sie den Städtern Vergnügen und Erheiterung. Manches Mal sogar den ein oder anderen Zaubertrank. Aber auf der anderen Seite waren sie auch heimatlose Vagabunden ohne Bürgerrechte. Gezielt zogen sie von Stadt zu Stadt, um ihre Dienste feilzubieten; nicht selten waren diese Dienste von zweifelhaftem Ruf. In der Regel ging es um Hurerei, Schaustellerei und Quacksalberei. Beides – Frohsinn und Verbrechen – stand in ständigem Konflikt zueinander, und so wussten die Spielleute selbst niemals genau, ob sie in einer Stadt willkommen waren oder nicht. Eines jedoch
Weitere Kostenlose Bücher