Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
großes Mitleid mit Albert, und nach einer kurzen Schreckenspause erzählte sie den drei Fremden, was ihr selbst nur durch Marktweiber angetragen wurde, bis sie schlussendlich die Stadt verließen. »Eure Frau wurde vom Rat der Stadt ins Kloster der Beginen geschickt. Dort weilt sie nun, da man glaubt, sie wurde durch den schmerzlichen Verlust des Ehemannes ihres Verstandes beraubt. Seid also beruhigt, Herr. Sie lebt!«
Albert brauchte einen Moment, bis Juddas Worte zu ihm durchdrangen. »Ja, sie lebt. Gott der Herr sei gepriesen, Ragnhild lebt.« Erst jetzt wagte Albert tief durchzuatmen. Sein Herz machte einen Satz und begann nun merklich ruhiger zu schlagen. Auf seine Frage, was mit seiner Tochter geschehen sei, wusste Judda allerdings keine Antwort. Jetzt war es an Albert, sich zu erklären. Zunächst wusste er nicht, wo er anfangen sollte, doch dann begann er einfach am Anfang der Geschichte – seiner Hochzeit. Nun waren es die Spielleute, die gebannt den Worten des Fremden lauschten. Noch bis spät in die Nacht saßen sie so da und redeten. Erst als der Mond schon über seinen Zenit hinaus war, fielen ihnen vor Müdigkeit und Erschöpfung die Lider zu.
Früh am nächsten Morgen erwachten sie wieder. Ein jeder musste seines Weges gehen. Sie verabschiedeten sich mit guten Wünschen und der Hoffnung, sich vielleicht eines Tages wiederzusehen.
Durch die unglaublichen Neuigkeiten angetrieben und nun von neuem Mut gepackt, machten sich Albert, Thiderich und Walther auf den Weg nach Hamburg. Albert trieb seinen Rappen in einen schnelleren Schritt. Die Wundschmerzen ließen noch immer nicht zu, dass sie den Weg im Trab oder Galopp fortsetzten, doch das schien vielleicht auch nicht mehr so wichtig zu sein. Sollte Ragnhild tatsächlich im Kloster der Beginen sein, würde sie jederzeit wieder austreten können. Alberts Herz wurde von purem Glück erfasst. Bald wären sie wieder vereint, und das Warten, Bangen und Hoffen hätte endlich ein Ende.
»Agatha! Agaaaathaaaa!«, schallte es durch das ganze Haus.
Die Gesuchte trat mit gerunzelter Stirn in die Diele. »Du meine Güte, musst du denn so schreien, Voltseco? Was gibt es nur so Wichtiges, dass du offenbar nicht einmal einen Augenblick lang warten kannst?«, fragte sie ihren Mann verständnislos.
Voltseco war völlig außer Atem. »Er ist schon früher gekommen; früher als erwartet. Ich kann sein Gewand nicht finden. Wenn du nicht immer alles umräumen würdest, hätte ich es bereits in den Händen, Weib. Komm und hilf mir suchen«, stieß er vorwurfsvoll aus.
Kopfschüttelnd folgte Agatha ihrem Mann in die Schneiderei. Sie wusste weder, um wen es ging, noch, welches Gewand ihr Gemahl meinte. Ohne es laut auszusprechen, dachte sie aber, dass es ganz sicher nicht ihr Aufräumen war, welches ihn seine Sachen nie finden ließ, sondern vielmehr seine Unordentlichkeit.
Als sie die Schneiderei gemeinsam betraten, erkannte Agatha den Kunden sofort. Es war der schmierige Symon von Alevelde, der sich letzte Woche eine neue Ausstattung hatte schneidern lassen. Heimlich verdrehte sie hinter seinem Rücken die Augen. Erst vor wenigen Wochen war er gekommen, um Maß für ein neues Festgewand nehmen zu lassen. Damals hieß es noch, er würde Ragnhild von Holdenstede ehelichen. Auch wenn dieses Gewand wohl kaum zusammen mit dem Eheversprechen geplatzt sein dürfte, war es anscheinend wieder Zeit für einen edlen Zwirn. Eigentlich hätte Agatha sich darüber freuen sollen, dass dieser Mann ihnen so gute Einnahmen bescherte, doch bei Symon von Alevelde war es etwas anderes. Er war ein ekeliger, stinkender und ungehobelter Kerl, der versuchte, die Nichtigkeit seiner Person hinter pompösen Gewändern zu verbergen. Agatha konnte ihn nicht ausstehen. Heuchlerisch flötete sie ihm entgegen: »Welch ehrenwerter Gast in unserem bescheidenen Hause. Euer Gewand wurde bereits gestern fertiggestellt. Sicher wird es ganz wunderbar an Euch aussehen. Ich werde es rasch holen gehen.« Geschwind flitzte sie hinaus, um das Gesagte zu erledigen. Erst als sie zurückkam, sah sie, dass Symon von Alevelde seinen missratenen Sohn dabeihatte, der mit seinen speckigen Fingern an einer teuren Rolle Seidentuch herumfingerte. Abermals konnte sich Agatha ein Augenrollen nicht verkneifen. Wenn es jemanden gab, den sie noch mehr verachtete als Symon von Alevelde, dann war es sein fetter Sohn Jacob. Doch es half nichts, Symon von Alevelde war ein Kunde, und sie musste ihn genauso behandeln wie alle
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